Der letzte Regent: Roman (German Edition)
an.«
Als Regent kann ich entscheiden, wer die Stadt wie verlässt, dachte Xavius, aber auch diese Worte ließ er unausgesprochen und nickte nur. Wenige Sekunden später war er mit Laurania allein.
Erste Wolkenfetzen flogen vorbei. Weiter unten flackerten Blitze, wie Finger aus Licht, die nach dem Shuttle tasteten. Ein Schirmfeld schützte das kleine Schiff vor Mikrotrümmern in niedrigen Umlaufbahnen und der dichter werdenden Atmosphäre des Planeten.
Er ergriff Lauranias Hand.
»Nein«, sagte sie. Und als sie seinen fragenden Blick bemerkte: »Nein, ich will keine Mortus werden.«
»Für viele Menschen im Endurium ginge damit ihr größter Wunsch in Erfüllung.«
»Ich bin ein Splitter-Mensch, hast du das vergessen? Ich stamme von Bluestone.«
Xavius sah sie an. »Ohne dich hätte ich es nicht geschafft, Laura. Mit deiner Hilfe habe ich meine Unschuld bewiesen. Aber die Situation, in der ich mich jetzt befinde …« Er schüttelte den Kopf. »Wer hätte das gedacht?«
»Hast du die Morti hinausgeschickt, um mir zu danken?«
»Und um zu versuchen, einen klaren Gedanken zu fassen. In meinem Kopf wirbelt alles durcheinander. Die Sifter-Mediker haben das Ich-Konstrukt entfernt, aber ich habe noch immer das Gefühl, dass es fremde Gedanken und falsche Erinnerungen in mir gibt. Mit erneuerten Mikromaschinen fiele es mir sicher leichter, diese Nachwirkungen zu überwinden, aber angeblich behindern sie den Übergang.« Xavius blickte aus dem Fenster und beobachtete die braungelben Wolken, die den Shuttle verschlungen hatten. »Quiron soll mit seiner Kapsel in dieser Atmosphäre verglüht sein.«
»Um ihn tut es mir nicht leid«, sagte Laurania.
»Ich glaube es nicht«, murmelte Xavius. Ein weiterer Blitz flackerte, so nahe, dass die Wolken aufrissen und einer der sechs Jäger ihrer Eskorte sichtbar wurde, in die Blase eines schützenden Kraftfelds gehüllt. »Ihm muss klar gewesen sein, worauf er sich einließ. Er kannte die Erde. Und bestimmt wusste er gut um die Rettungskapseln Bescheid. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich mit einer von ihnen in den Tod stürzte. Das ist ein Punkt. Der zweite …« Xavius drehte den Kopf, und sein Blick kehrte zu der jungen rothaarigen Frau zurück, die nicht mehr Lorinda war, sondern Laurania. Dieses Gesicht hatte er hinter einem blutverschmierten Helmvisier gesehen, Jahrmilliarden in der Zukunft.
Er verscheuchte das Erinnerungsbild mit einem Blinzeln. »Ich soll wieder zu einem Werkzeug werden, Laura. Die aus meiner Familie stammende Xalana Xalanis hat es ohne große Umschweife zugegeben. Ich soll ein schwacher Regent sein, eine Marionette in den Händen von Gremium und Konklave. Sie spricht davon, dass sie mir ›helfen‹ wollen, aber es wird darauf hinauslaufen, dass sie mir sagen, was ich tun soll.«
»Es gibt ein Mittel dagegen«, sagte Laurania. »Werde ein starker Regent. Lass dich nicht führen, führe selbst.«
Die Wolken rissen auf, und im verblassenden Licht des Tages waren Berge zu sehen, die dem Shuttle kahle Gipfel entgegenreckten. Weiter vorn lag die Stille Stadt, von Trümmern gesäumt: das Zentrum rund, umgeben von einem Oval aus Verteidigungsanlagen. Wie ein Auge, dachte Xavius, mit der Stadt als Pupille. Sie sieht mich an, sie weiß, dass ich zu ihr komme.
Das Summen und Brummen des Shuttles veränderte sich, als Gravitatoren und Manovratoren gegen Schwerkraft und Wind arbeiteten. Das Schweigen wurde zu einer zusätzlichen Last. Er, der Chronist, brauchte Worte, um die Furcht zu besiegen. Er hatte mit Laurania sprechen wollen, weil er sich fürchtete, vor allem vor dem Tod, der ihn erwartete, aber auch vor dem, was danach kam. Er war das Werkzeug einer Verschwörung gewesen, und jetzt sollte er zu einem Instrument der Macht werden, vielleicht mit noch schlimmeren Folgen für ihn. Der Vogel, der in jener anderen Welt aufgestiegen war, im Park mit den blauen Bäumen und dem roten See … Die gelben Flügel hatten ihn nicht weit getragen.
Nur bis zur Frau ohne Gesicht.
Xavius runzelte die Stirn, als er sich an sie erinnerte – er hatte sie fast vergessen. Die Frau mit dem leeren Gesicht und die Tür. Ein weiteres Rätsel.
»Wie soll ich das Endurium vor den Ayunn retten und vor Quirons Helfern, wenn ich nicht einmal Antwort auf die Fragen finde, die mich bewegen?« Er drückte sich die Hände an die Schläfen. »Dies muss aufhören. Es muss endlich aufhören. Ich will wieder Herr über mich selbst sein.«
In diesem Augenblick öffnete sich
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