Der letzte Regent: Roman (German Edition)
Millionen und Milliarden waren.
Etwas bewegte sich in ihm, als das Donnern lauter wurde, etwas kroch und wand sich in seiner Seele, und Xavius dachte: Ich bin in meinem Kopf nicht allein gewesen, und ich bin es auch nicht in meiner Seele.
Er hörte einzelne Stimmen, wie die ersten Töne einer komplexen Symphonie, und begann zu hoffen, dass er es diesmal schaffte, dass er dem Orkan widerstehen konnte, obwohl er nicht vorbereitet war. Aber das Donnern wurde zu einem Brausen, zu einem ohrenbetäubenden Tosen, so laut, dass sich einzelne Stimmen nicht mehr voneinander trennen ließen. Xavius glaubte sich daran zu erinnern, dass er etwas miteinander verknüpfen musste, doch wie sollte er das anstellen, ohne Hände und ohne Augen, nur mit Ohren, in denen es heulte? Er hatte gehofft, dass sich ihm im Augenblick des Übergangs Erkenntnisse präsentierten, Antworten auf Fragen, Hinweise darauf, wie er sich verhalten musste – so hatte er die Promotoria verstanden. Aber er blieb so unwissend wie zuvor und wusste nicht, was es zu tun oder zu denken galt.
Ich … brauche … Hilfe, dachte er.
Dann merkte er, dass er kippte, der Seite des Unbestimmten entgegen, dem Nebel der Möglichkeiten. Der Moment des Übergangs, er ging zu Ende, seine Chancen ungenutzt.
Ich brauche Hilfe!
Jemand half ihm.
Die Frau auf der Liege – ihr Gesicht von Fieber gerötet, die Haut feucht von Schweiß – drehte den Kopf langsam von einer Seite zur anderen und stöhnte leise, mit zitternden Lippen und geschlossenen Augen.
»Sie erholt sich«, sagte der Mann. »Es geht ihr schon besser. Das Fieber lässt nach. Das verdankt sie Ihnen.«
Es war ein alter Mann, die Haut schrumpelig und schlaff, das eingefallene Gesicht fleckig, der Rücken gebeugt. Aber in den Augen schien das Licht des Lebens hell, und die Stimme hatte noch immer Kraft.
»Mir?«, fragte Xavius. »Wie habe ich ihr geholfen?«
Das Zimmer, in dem sie sich befanden, hatte glatte Wände aus einem Material, das Xavius an Polymerkeramik erinnerte. Es gab keine Fenster und nur eine Tür, die offen stand; draußen wogte grauer Nebel in trägen Schwaden, vielleicht ein Sinnbild für die Unbestimmtheit des Jenseits.
»Sie sind das Zentrum gewesen, wenn auch nur für kurze Zeit. Das hat sie entlastet, uns beide.« Der Alte richtete sich auf, stöhnte leise und streckte die eine Hand zum Rücken. Mit mühsamen, schlurfenden Schritten ging er zu einem nahen Stuhl und sank schwer darauf hinab. »Es geht mit mir zu Ende. Ich sterbe nach zwei Jahrtausenden. Nach zweitausendeinhundertdreiundvierzig Jahren, um ganz genau zu sein.«
Xavius glaubte zu verstehen. »Sie sind Zayac. Rudolph Allan Zayac.«
»Ja. ›ProfDr‹ nennen mich einige. Sie hat mich ebenso genannt.« Er deutete zur Liege, zu der jungen Frau, die jetzt nicht mehr den Kopf hin und her warf. »Sie wissen nicht, was es bedeutet. Manchmal vergesse ich es selbst. Ich habe viel vergessen, aber die Lücken in meinem Gedächtnis sind nicht mit Sinnlosem vollgestopft wie bei den Sechsundzwanzig.«
»ProfDr«, murmelte Xavius. »Professor Doktor. Alte Wissenschaftstitel.«
Zayac warf ihm einen anerkennenden Blick zu.
»Ich bin Chronist«, sagte Xavius. »Ich habe mich mit den alten Aufzeichnungen beschäftigt.«
»Die alten Aufzeichnungen sind das, was nach dem Angriff der Ayunn auf die Erde übrig blieb, und das war nicht viel. Die Sechsundzwanzig haben noch mehr verschwinden lassen, um über ihre Schuld hinwegzutäuschen. Oder aus Ignoranz. Die Aufzeichnungen, die Sie kennen, zeichnen ein falsches Bild von der Wirklichkeit. Und außerdem sind Sie kein Chronist mehr, sondern Regent.«
Die Stimme klang kräftig und schien nicht zu dem fragilen Körper und dem eingefallenen Gesicht zu passen. Wieder sah Zayac zu der jungen Frau auf der Liege. »Die erste affine Person nach fast fünfhundert Jahren … Wenn sie eher zu mir gekommen wäre, hätte ich vielleicht noch ein Jahrtausend durchhalten können. Aber so … Behandeln Sie sie gut, Regent. Übrigens sehen wir sie so, wie sie gewesen ist, vor dem Übergang.
Es gab viele Fragen, die Xavius beschäftigten – aus Zayacs Worten hatten sich gerade einige weitere ergeben –, und vielleicht stellte er die unwichtigste von ihnen allen. »Wo sind wir hier?«
»Wir sind in Ihrem Kopf, Regent«, sagte Zayac. »Und in meinem. Und in der Phalanx, was in gewisser Weise bedeutet, dass wir in den Köpfen aller existierenden Morti stecken. Ich hoffe, dass es Ihnen hilft.« Der Alte
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