Der letzte Regent: Roman (German Edition)
Bewegung sind.«
»Wir sind in Ihrem Bewusstsein, erinnern Sie sich? Und das gilt auch für dieses Buch. Sein Inhalt ist bereits da; Sie müssen nur lernen, darauf zuzugreifen.«
Xavius hielt das dicke, schwere Buch in den Händen, sah darauf hinab und schüttelte hilflos den Kopf.
»Was Sie jetzt in sich tragen, Regent, was Ihnen die Assistenten der Promotoria gegeben haben, derzeit die Struktur Ihres Gehirns verändert und Sie über das Menschliche hinaushebt … Es verbindet Sie nicht nur mit der Phalanx, sondern auch mit der primären KI der Stillen Stadt und dem Schrein. Damit sind Sie auch mit alldem hier verbunden.« Zayac vollführte eine umfassende Geste, die den Millionen Büchern im Saal galt.
Da war es wieder, ein Kriechen und Krabbeln hinter den Augen, wie von einem Käfer, der sich in seinem Gehirn eingenistet hatte. »Was ist das? Was ist hier drin?«, fragte Xavius und drückte die Hände an die Schläfen.
»Das, was Sie zum Mortus macht und zum Regenten.« Zayac ging einige humpelnde Schritte, auf den Gehstock gestützt, und hob die freie Hand, als Xavius ihm folgen wollte. »Nein, bleiben Sie da. Ich lasse Sie jetzt los, nicht ganz, aber ein bisschen. Vielleicht ist es meine Präsenz, die Sie daran hindert, sich der Verbindung ganz zu öffnen.«
»Nein!«, entfuhr es Xavius. »Ich würde ganz auf die andere Seite fallen und endgültig sterben …«
»Lesen Sie das Buch«, sagte Rudolph Allan Zayac, der Mann, der nach mehr als zweitausendeinhundert Jahren mit dem Tod rang, während er einem gerade Gestorbenen half, nicht ganz ins Jenseits zu fallen und zum Regenten des Enduriums zu werden.
Da war er, der Schmerz, wie ein Schatten am Rand seiner Wahrnehmung, darin tausend spitze, scharfe Messer, mit seinem Blut an ihren Klingen. Was vielleicht nicht nur eine Metapher war, dachte Xavius und erinnerte sich an die von silbernen Fäden durchzogene Interface-Kleidung mit den mikrospitzen Sonden im Innern. Und auf der anderen Seite dieses kleinen Ortes, vielleicht eingequetscht in die schmale Lücke zwischen zwei Sekunden, lag die graue Leere der Unbestimmtheit, das unentdeckte Land des endgültigen Todes.
Xavis Xavius, nicht mehr Vivus und noch nicht ganz Mortus, starrte auf das Buch, das er noch immer in den Händen hielt, die an Farbe verloren hatten. Er öffnete es und begann zu lesen, und plötzlich tanzten die Buchstaben nicht mehr, sie sprangen ihm entgegen.
56
Als Xavius erneut dem Schläfer begegnete, der gar nicht schlief, sah Rudolph Allan Zayac noch hohlwangiger aus, und sein Rücken schien noch etwas krummer zu sein. Er stützte sich schwer auf den Gehstock und humpelte zu einer Sitzecke unter einem Fenster des Saals, durch das mattes Licht fiel.
»Mir bleibt nicht mehr viel Zeit«, ächzte er und sank auf einen Stuhl. »Bald muss ich Sie ganz loslassen.«
Xavius’ Kopf war bis zum Bersten gefüllt, so fühlte es sich an. Aber der Druck ließ nach, als sich in all dem dicht gepackten Durcheinander etwas bewegte, als etwas kleine Tunnel hindurchgrub, die Unwichtiges von Bedeutendem trennten und Ordnung schufen. Er setzte sich ebenfalls und atmete tief durch, obwohl er – das merkte er plötzlich – gar nicht mehr atmen musste. Er fühlte sich anders, ruhiger, distanzierter von allem, was ihn umgab und betraf. Kühle Gelassenheit durchzog ihn wie eine angenehme Brise, die nach einer großen Anstrengung Erleichterung brachte.
»Im Lauf von zwei Jahrtausenden ist ZORN daraus geworden«, sagte er, während sein Blick über die vielen anderen Bücher strich. Sie warteten auf ihn, er spürte es, und er durfte sie nicht zu lange warten lassen. Auch dieser zeitlose Moment ging zu Ende, bald. »Es müsste CERN heißen.«
»Ich wusste, dass Sie es schaffen würden«, sagte Zayac. Seine Stimme klang brüchiger, nicht mehr so fest wie vorher, und die faltigen Hände auf dem Knauf des Gehstocks zitterten. »Jetzt wissen Sie, dass ich in der falschen Welt bin, und die Sechsundzwanzig ebenfalls, das, was heute noch von ihnen übrig ist.«
»Wie kann dies die falsche Welt sein?«, fragte Xavius.
»Oh, für Sie und alle anderen ist es die richtige, aber nicht für mich und die Sechsundzwanzig, die Ihre Sprache bestimmten und letztendlich auch Ihre Kultur.«
Die Informationen waren da, wie Erinnerungen, die darauf warteten abgerufen zu werden. Inzwischen passten sie so gut in Xavius’ Kopf, als wären sie immer dort gewesen. Das verdankte er dem Rekombinator, dem Fremden, das ihm aus den
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