Der letzte Regent: Roman (German Edition)
gestikulierte vage. »Die Promotoria meinte es gut. Vielleicht ist sie die Beste, die wir je hatten, obgleich sie ein bisschen streng sein kann. Deshalb hat Selena Seace Sie in die Gruft geführt, um Ihnen zu helfen. Mit Tradition und dergleichen hatte das nur bedingt zu tun. Sie wollte einen Kontakt zwischen uns herbeiführen, weil sie glaubt, dass nur ich Ihnen geben kann, was Sie brauchen.«
»Was brauche ich?«, fragte Xavius. »Was können Sie mir geben?«
»Sie brauchen Zuversicht. Und die kann ich Ihnen vielleicht geben.«
Xavius seufzte. Vermutlich waren dies die Halluzinationen eines sterbenden Gehirns, dachte er nicht ohne eine gewisse Dankbarkeit – alles war besser als der schreckliche Schmerz. »Eine Erklärung wüsste ich sehr zu schätzen«, sagte er.
Der Alte legte die Hände auf den kleinen Tisch, der plötzlich neben dem Stuhl stand, und stemmte sich mit einem Ächzen hoch. »Kommen Sie, Regent. Ich möchte Ihnen etwas zeigen. Lassen wir Tabatha allein; sie hat ein wenig Ruhe verdient.«
Zayac humpelte nach draußen, und Xavius folgte ihm. Als er über die Schwelle trat, verwandelte sich das Grau der Unbestimmtheit in einen Saal, der mehrere Kilometer lang sein musste. Dutzende von Regalreihen verliefen parallel bis zum fernen Ende, nur durch einige Meter voneinander getrennt, und darin standen …
»Sind Sie mit Büchern vertraut, Regent?«, fragte Zayac.
»Analoge Datenträger von begrenzter Haltbarkeit«, erwiderte Xavius. »Im Museum für Altertum und Antike in Ibbemma, auf Tibetian, hatte ich Gelegenheit, einige alte Bücher zu lesen. Eines von ihnen enthielt Texte in der alten Sprache.«
»In der alten Sprache, die die Sechsundzwanzig zur neuen gemacht haben, in gewisser Weise.« Mit der einen Hand deutete Zayac auf die vielen Regale, mit der anderen stützte er sich auf einen Gehstock. »Wie viele Bücher lagern hier, was glauben Sie?«
»Mehr als tausend Menschen in tausend Jahren lesen könnten«, sagte Xavius. »Es müssen Millionen sein, und vielleicht noch viel mehr.«
»Ich könnte Ihnen die genaue Zahl nennen, aber sie spielt keine Rolle. Was Sie hier sehen, Xavis Xavius, ist das Wissen des Regenten. Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder Sie machen sich daran, ein Buch nach dem anderen zu lesen, wozu Sie zweifellos mehr Zeit brauchen würden, als uns beiden zur Verfügung steht, oder Sie lernen, diese Bücher alle auf einmal zu lesen.«
Xavius lachte bitter. »Ist das die Hilfe, die Sie zu bieten haben, Zayac? Ein absurder Rat?«
»So absurd ist er nicht, Regent, und glauben Sie mir, ich will Sie nicht auf den Arm nehmen.«
»Auf den Arm nehmen?«, fragte Xavius verwirrt.
Zayac winkte ab. »Eine Redensart aus meiner Epoche. Wie dem auch sei, der Regent muss all dies in sich aufnehmen, und dazu hat er keine tausend Jahre Zeit. Er hat nicht einmal einen Tag oder eine Stunde; ihm bleiben nur wenige Sekunden.«
»Unmöglich!«
»Das menschliche Gehirn und das Wörtchen ›unmöglich‹ passen erstaunlich schlecht zusammen, Regent. In diesem Fall zum Glück, möchte ich sagen. Außerdem ist Ihr Gehirn inzwischen nicht mehr nur menschlich.«
Etwas bewegte sich in diesem Moment, Xavis spürte es deutlich, einen sanften Finger, der von hinten die Augen berührte, als wollte er ihren Blick verändern.
»Sie haben es gefühlt, nicht wahr?«
»Was war das?«
»Die eigentliche Ursache Ihres Todes«, sagte Zayac. »Und der Grund für Ihre Wiedergeburt, wenn man es so nennen will. Der Rekombinator.« Er hob die Hand, um weiteren Fragen zuvorzukommen. »Zunächst müssen Sie von ZORN erfahren, wie es Selena Seace und die anderen Morti in der Stillen Stadt nennen. Es ist einer der wichtigsten Punkte überhaupt. Sie müssen wissen, was geschehen ist, damit Sie den Rest verstehen können. Anschließend liegt alles bei Ihnen.« Er zog ein Buch aus dem nächsten Regal. »Hier, lesen Sie das.«
Es war ein dickes Buch, mit fast zweitausend eng bedruckten Seiten, in fleckiges, abgegriffenes Leder gebunden. »Jetzt?«
»Möchten Sie Bescheid wissen oder nicht?«
Xavius öffnete das Buch und las laut: »Was damals wirklich geschah …« Die Seiten waren voller Buchstaben, die vor seinen Augen verschwammen und tanzten, als wollten sie sich seinem Blick entziehen.
»Lesen Sie alles zugleich, Regent«, sagte Zayac. »Das ganze Buch auf einmal.«
»Aber wie …« Er schüttelte den Kopf. »Es fällt mir schwer genug, einzelne Worte zu entziffern, weil die Buchstaben dauernd in
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