Der letzte Single fangt den Mann
ein ausdrucksloses Gesicht auf, das nichts verraten soll. Meine Nervosität war noch nie größer. Ich glaube, meine Hände zittern. Ich habe zu viel Schiss nachzusehen.
Ich gehe zu ihm, mit einem Lächeln, aber er erwidert es nicht wie sonst, sondern beugt sich nur vor, gibt mir ein flüchtiges Begrüßungsküsschen auf den Mund und hilft mir aus der Jacke.
» Möchtest du was trinken?«
» Ja, bitte«, sage ich. Der Unsicherheitsstrick um mein Herz hat sich in eine Boa constrictor verwandelt. Ich versuche, weiterzulächeln und einen auf lässig zu machen. » Rotwein, wenn du so nett wärst.«
Dave lächelt angespannt, mit geschürzten Lippen.
» Ich hole dir ein Glas, keine Flasche. Ich kann nicht lange bleiben.«
Er geht an die Bar.
Er wird mich hundertprozentig zum Teufel jagen.
Atme, Abigail. Atme.
Ich setze mich und sehe mich um, während ich vor lauter Angst und Schmerz hyperventiliere. Ich habe das Gefühl, mein Gesicht ist knallrot, ob es von meiner Aufregung kommt oder von der Hitze im Raum, weiß ich nicht.
» Bitte sehr«, sagt Dave, der mit einem kleinen Glas Rotwein zurückkehrt.
» Danke«, sage ich und nehme einen großen Schluck.
» Abigail«, beginnt er, dann sieht er mich an und lächelt, als würde er mich zum ersten Mal wahrnehmen. » Du hast ein Rotweinlächeln, mein Engel.«
Er nennt mich Engel, denke ich, und der schmerzhafte Druck auf mein Herz lässt einen Moment nach. Vielleicht will er mich doch nicht abservieren.
Er nimmt einen Schluck von seinem Bier und macht eine kleine Pause, während er mich ansieht.
» Ich gehe fort. Beruflich.«
» Oh, super!«, sage ich erleichtert. Er macht nicht Schluss mit mir! » Ich meine, o Mann, das ist der Hammer. Wohin gehst du? Und wann?«
Ich sehe, dass Verärgerung über sein Gesicht huscht. Scheiße, er ist in dieser Stimmung, in der er Fragen hasst. Beziehungsweise Gespräche.
» Überwiegend Asien«, antwortet er unvermittelt. » Zuerst Singapur, und dann ab Freitagnachmittag bin ich das ganze Wochenende in Hongkong… Danach Peking, Shanghai und Tokio.«
» Ich… ich…«, stammle ich leise.
Ich möchte ihm sagen, was für ein unglaublicher Zufall es ist, dass ich auch nach Hongkong fliege, und möchte hören, dass er es saukomisch findet, dass wir zur selben Zeit dort sind, aber ich weiß nicht, wie. Ich habe zu viel Angst, ihn noch mehr zu verärgern. (Und ja, ich weiß, wie erbärmlich das klingt.)
» Ja, Hongkong«, sagt er, zieht sein Handy hervor und wirft einen Blick darauf. » Das ist meine Lieblingsstadt nach London.«
Eine Pause entsteht. Ich überlege, was ich sagen soll und rede einfach darauf los.
» Ich habe vorhin eine SMS von Sophie bekommen. Sie fliegt mit Luke nach Chicago, eine kleine Auszeit vor der Hochzeit. Er hat dort geschäftlich zu tun, und sie begleitet ihn einfach…«
Hör auf, so einen Blödsinn zu labern, Abigail, du dumme Nuss.
Er leert sein restliches Bier in einem Zug.
» Okay. Ich muss los. Ich nehme morgen früh die erste Maschine und muss mich vorher noch um ein paar Dinge kümmern. Ich melde mich, okay?«
» Cool«, sage ich.
Was ich eigentlich sagen möchte, ist: Du wirst mir fehlen. Wirst du mich vermissen? Ist alles okay? Ich fliege auch nach Hongkong, bitte, geh nicht… (Warum ist mir immer noch schlecht?)
Er grinst kurz, schlüpft in seine Jacke und checkt wieder sein Handy.
» Pass auf dich auf.«
Dann gibt er mir noch ein Küsschen und verlässt den Pub, ohne einen letzten Blick zurückzuwerfen.
Ich greife zitternd nach meiner Handtasche. Ich habe eine SMS von Suzanne.
Wo sind Sie? Kommen Sie sofort in mein Büro. Dringendes Projekt.
Kapitel 35
Nur achtundvierzig Stunden später sitze ich in einer Maschine nach Hongkong.
So lautet mein Plan: Wir landen am Donnerstagnachmittag um siebzehn Uhr, Ortszeit Hongkong. Am Freitagmorgen habe ich ein Meeting mit André, und danach rufe ich Dave an und melde mich mit » Rate mal, wer dran ist?« Und dann können wir zusammen das Wochenende in Hongkong genießen! Zwischendurch schaue ich kurz auf der Asien-Luxusmesse vorbei, damit Suzanne keinen Verrdacht schöpft, aber eigentlich plane ich, meine Zeit überwiegend mit Dave im Bett zu verbringen.
Und alles wird gut.
Warum mache ich das? Für den Job? Um Suzanne eine Woche zu entkommen? Wird Dave mit mir nach Hongkong ziehen? Hat er nicht gesagt, dass es seine Lieblingsstadt ist? Wird er erkennen, dass er ohne mich nicht in London leben kann, und mich bitten zu bleiben? Oder
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