Der letzte Single fangt den Mann
ist ein typischer Februartag in London: Die Sonne hat sich krankgemeldet. Draußen ist es bitterkalt, und trotzdem läuft die Klimaanlage hier drinnen auf Hochtouren. Das Neonlicht, der graue Teppich, die künstliche Luft… O mein Gott.
Ich kämpfe gegen das Bedürfnis, die Tastatur gegen meinen Kopf zu knallen. Stattdessen klicke ich wieder auf » Aktualisieren«. Eine E-Mail von Dave!
Können wir uns heute Abend kurz treffen? Muss dringend mit dir reden.
Mein Magen fühlt sich an, als hätte mir einer hineingetreten.
» Muss dringend mit dir reden?« Finden Sie, das klingt gut? Ohne einen Flirtspruch, ohne » LG « am Ende? Ich antworte:
Sicher. Alles klar? LG
Er antwortet fast sofort, und ich bekomme ein richtig mulmiges Gefühl.
Um 6 im Magpie.
Irgendetwas stimmt nicht. Gestern war noch alles in Ordnung, als wir uns gesehen haben. Da Sonntag war, schliefen wir aus, ich machte uns Kaffee, und später bin ich nach Hause, um mich umzuziehen und mich mit den Mädels zum Abendessen zu treffen. Dave verbrachte den Abend gestern mit seiner Schwester Louisa, darum haben wir uns nicht mehr gesehen… Vielleicht hatten sie Streit, und seine kühle Geschäftsmäßigkeit hat nichts mit mir zu tun. Der Unsicherheitsstrick zieht sich wieder zu und engt mein Herz ein, er löst sich nicht mehr. Sechs Uhr? So lange kann ich nicht warten! Das ist wie Warten auf Anabolika.
Ich starre auf meinen Monitor und beobachte, wie die Uhr unten rechts in der Ecke umspringt. 16:41 Uhr.
Mein Telefon klingelt. Es ist meine Chefin.
» Suzanne«, sage ich rasch, wobei ich versuche, möglichst selbstsicher und fleißig zu klingen.
» Abigail, kommen Sie bitte in mein Büro«, sagt sie.
» Natürlich«, erwidere ich fröhlich.
Ich setze mich in Bewegung und unterdrücke das Bedürfnis wegzulaufen. Warum jagt sie mir so viel Angst ein? Ich vermisse meinen alten Chef. Er hat mich einfach machen lassen.
» Die letzten sechs Wochen waren ein Graus«, bellt sie ohne Einleitung los, kaum habe ich ihr Büro betreten. » Der einzige Grund, warum wir noch am Leben sind, ist Charlotte. Abigail, Ihre Telefonakquise ist auf ein Rekordtief gesunken. Sie haben nichts getan, um produktiver zu werden!«
» Ich habe das Brasilien-Projekt abgeschlossen«, werfe ich kläglich dazwischen.
» Und es gründlich vermasselt«, fährt sie mich an. » Ich dachte, wir hätten eine Abmachung, und Ende letzten Jahres habe ich auch eine echte Veränderung bei Ihnen gesehen. Jetzt kommt es mir allerdings vor, als legten Sie es darauf an, gefeuert zu werden. Sie haben nicht nur den Ball aus den Augen verloren, Sie haben ihn sogar weggeschossen und das Spielfeld verlassen.«
» Ich weiß«, sage ich rasch. » Es tut mir leid, ich werde… ich bringe das in Ordnung. Ich werde einen Zahn zulegen. Ich hatte persönliche…«
» Das interessiert mich nicht«, fällt sie mir ins Wort. » Bringen Sie das schnell in Ordnung. Besuchen Sie die Fachausstellung in Hongkong. Und wenn Sie nächste Woche zurückkommen, möchte ich einen Unterschied sehen.«
Ich hatte keine persönlichen Probleme, denke ich, als ich Suzannes Büro verlasse. Ich war nur mit anderen Dingen beschäftigt.
Vielleicht will ich ja wirklich gefeuert werden.
Ich gehe direkt zu den Toiletten, schließe mich in einer Kabine ein und setze mich auf den Klodeckel. Am liebsten würde ich heulen, aber mir kommt keine einzige Träne. Alles, was ich habe, ist eine dumpfe, ungute Vorahnung. Dave… Arbeit… Dave… Arbeit.
Ich beuge mich vor, betrachte meine Schuhe und versuche, sie perfekt an die Fliesen anzupassen. Das ist unmöglich, weil die Fliesen aus unebenem Linoleum bestehen. Das ärgert mich jedes Mal, wenn ich pinkeln gehe.
Und bis vor wenigen Monaten dachte ich noch, alles sei perfekt! Ich erinnere mich, dass ich mich für unbesiegbar hielt.Für kugelsicher.
Was ist daraus geworden?
Ich zähle bis hundert, wasche mir anschließend die Hände und kehre zurück an meinen Schreibtisch. Charlotte ist mit Henry im Skiurlaub, darum ist es noch ruhiger als sonst. Jetzt ist es 17:21 Uhr, und draußen ist es fast dunkel. Ich gehe im Dunkeln zur Arbeit, ich gehe im Dunkeln nach Hause. O mein Gott, ich hasse den Winter. Ich hasse dieses Büro. Ich hasse alles.
Heute Abend werde ich Dave das mit Hongkong sagen. Dave, heute Abend… Die Minuten kriechen voran, bis endlich, endlich Feierabend ist.
Als ich den Pub betrete, lehnt Dave an einer Wand und schreibt eine SMS . Er hebt den Kopf und setzt sofort
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