Der letzte Streich des Sherlock Holmes, Bd. 4
bestätigen, daß es so war, da im ersten Fall nur die Frau, wahrscheinlich die sensibelste Person, getötet worden ist und die anderen mit einer zeitweiligen oder dauernden Geistesstörung davongekommen sind, was wohl die primäre Wirkung der Droge ist. Im zweiten Beispiel ist das Resultat vollkommen. Die Tatsachen scheinen also auf ein Gift hinzudeuten, das durch Verbrennung freigesetzt wird.
Mit dieser Gedankenkette im Kopf, habe ich mich in Mortimer Tregennis’ Zimmer natürlich nach Überresten einer solchen Substanz umgesehen. Die Stellen, die ich besonders untersuchen mußte, waren der Abzug des Kamins und der Lampenzylinder. Ich fand einige Ascheflöckchen und an den Rändern Niederschlag von einem bräunlichen Pulver, das noch nicht verbrannt war. Die Hälfte davon habe ich, wie Sie sehen konnten, abgekratzt und in ein Kuvert gesteckt.«
»Warum die Hälfte, Holmes?«
»Ich kann mich, mein lieber Watson, der Polizei doch nicht in den Weg stellen. Ich überlasse auch ihr alle Beweismittel, die ich entdeckt habe. Sie werden noch Gift im Abzug finden, wenn sie gewitzt genug sind, danach zu suchen. Jetzt, Watson, zünden wir unsere Lampe an; dabei müssen wir Vorsicht walten lassen und das Fenster öffnen, um den vorzeitigen Tod zweier verdienstvoller Mitglieder der Gesellschaft zu vermeiden. Sie set zen sich in einen Sessel neben das offene Fenster, es sei denn, Sie entscheiden sich, als vernünftiger Mensch, mit der Angelegenheit nichts zu tun haben zu wollen. Ah, Sie machen mit, oder? Ich wußte doch, ich kenne meinen Watson. Den Sessel hier stelle ich dem Ihren gegenüber, so daß wir in der gleichen Entfernung vom Gift sitzen und unsere Gesichter einander zugekehrt sind. Die Tür lassen wir angelehnt. Beide befinden wir uns nun in einer Stellung, in der einer den anderen beobachten und das Experiment abgebrochen werden kann, wenn uns die Symptome alarmierend vorkommen. Ist alles klar? Nun, dann nehme ich das Pulver – oder doch das, was davon übriggeblieben ist – aus dem Kuvert und lege es oben auf die brennende Lampe. Das war’s. Jetzt, Watson, wollen wir uns setzen und die Wirkung abwarten.«
Sie ließ nicht lange auf sich warten. Kaum hatte ich in meinem Sessel Platz genommen, als ich einen dicken, nach Moschus riechenden Qualm wahrnahm, der tückisch und einschläfernd wirkte. Bereits beim ersten Hauch davon waren mein Hirn und meine Vorstellungskraft nicht mehr zu kontrollieren. Eine dichte, schwere Wolke kreiste vor meinen Augen, und mein Verstand sagte mir, daß in dieser Wolke, unsichtbar noch, aber auf dem Sprung, sich auf meine erregten Sinne zu werfen, all das lauerte, was irgendwie schrecklich war, alles Monströse und unerträglich Böse der Welt. Verschwommene Formen wirbelten und schwammen in der dunklen Wolkenbank, jede eine Drohung und eine Warnung vor etwas, das nahte, vor der Ankunft von etwas Unaussprechlichem, das sich auf der Schwelle meines Bewußtseins niedergelassen hatte und dessen Schatten allein meine Seele zerstören würde. Kaltes Entsetzen nahm Besitz von mir. Ich fühlte, daß mein Haar sich sträubte, meine Augen hervortraten, mein Mund sich öffnete und meine Zunge wie Leder wurde. Der Tumult in meinem Hirn war so stark, daß mit Sicherheit etwas ausschnappen mußte. Ich versuchte zu schreien und hörte nur ein undeutliches heiseres Krächzen, das zwar meine Stimme war, aber weit weg von mir und wie nicht mir zugehörig. Im selben Augenblick durchbrach ich mit letzter Kraft die Wolke aus Verzweiflung und erhaschte einen Blick auf Holmes Gesicht, das weiß war, starr und von Entsetzen entstellt – der gleiche Ausdruck, den ich auf den Gesichtern der Toten gesehen hatte. Dieser Anblick war es, der mir einen Anflug von Gesundheit und Kraft wiedergab. Ich sprang aus dem Sessel, warf die Arme um Holmes, und gemeinsam schleppten wir uns zur Tür. Eine Sekunde später hatten wir uns auf den Rasen geworfen, lagen nebeneinander und waren uns nur noch der herrlichen Sonnenstrahlen bewußt, die sich ihren Weg durch die höllische Wolke des Schreckens brachen, die uns eingeschlossen hatte. Langsam hob sie sich von unseren Seelen, wie sich der Nebel von einer Landschaft hebt, bis Friede und Denken zurückkehrten und wir uns im Gras sitzend fanden, die feuchten Stirnen wischend und einander mit Argwohn betrachtend, um die letzten Spuren des grauenvollen Ex periments zu entdecken, dem wir uns unterzogen hatten.
»Bei Gott, Watson«, sagte Holmes
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