Der Letzte Tag Der Schoepfung
gesegelt und in den Abgrund gestürzt. Sie haben Land erreicht, wie es der Admiral versprach.
An der Küste ein Lichtschein. Feuer? Ein ferner Schrei. Menschen?
Indien. Wird man sie freundlich empfangen? Schwielige, von Salz und Sonne verätzte Hände schlagen ein Kreuz. Da und dort tastet einer heimlich nach einem Amulett, murmelt »Salvador« und spuckt trotzig auf die Planken. Manch einer glaubt schon exotische Gewürze zu riechen, den linden Duft von Zimt und Vanille, das anmutig erregende Aroma von gepressten Teeballen, die sich auf der Mole türmen, die kühle Ausdünstung kostbarer Hölzer. Der Tag würde das enthüllen, von was der weit gereiste Venezianer berichtet hatte, vom Reiche Cathay und der Insel Zipangu, den hochgebauten Städten aus Marmor und goldenen Palästen, über denen die seidenen Drachenbanner des großen Khans wehen, die Häfen, in denen es von großen Schiffen wimmelt, die tausende von Meilen die Küsten befahren.
Der Abgeordnete des Kaisers erweist ihnen die Reverenz und kommt ihnen entgegen. Sein Reitdrache steigt auf, peitscht wie mit rasenden Stahlklingen die Luft, der Schuppenpanzer seines gedrungenen Leibs blitzt hell im Morgenlicht, sein Schwanz ist aufgereckt und mit einer flirrenden silbernen Scheibe geschmückt, sein Grollen ist meilenweit zu hören, wie er majestätisch seine Bahn zieht und auf sie zukommt, seine Stimme ist wie Donner, sein Maul öffnet sich und speit Feuer. Licht wird über sie ausgegossen, doch nicht die Flammen pfingstlicher Erleuchtung, sondern die des Napalms.
Im Nu ist das Deck eine Hölle, schmelzende Gesichter, sich verformende Münder zu qualvollem Schrei geöffnet im Aschengestrüpp verbrannter Bärte, herabstürzendes Takelwerk, lodernde Segelfetzen mit sich reißend, lichterloh brennende Menschen, die über die Reling ins Wasser springen, das die Glut nicht zu löschen vermag. Und der Drache speit unaufhörlich, bis nur noch schwelendes Treibgut die See bedeckt, von einer flachen Dünung bewegt. Dann durchpflügen Geschosse den Teppich aus Tod, bis keine Hand sich mehr an eine Planke oder einen verkohlten Rahstumpf klammert.
»Schläfst du?«, fragte ihn die Stimme Paul Looreys.
Steve öffnete die Augen.
»Tagträume«, sagte er. »Unnützes Zeug. Sieh es dir an. Marginalien für eine zukünftige Geschichte.«
»Howard Harness’ Summa ?«
»Ja. Du wusstest davon?«
»Er schrieb schon vor zwanzig Jahren daran. Wir haben manchmal darüber diskutiert.«
Paul ließ sich im Schatten neben Steve nieder.
»Und was soll das alles?«
»Das ist die reizvollste Historiografie, die man sich ausdenken kann, Steve. Tagträume sind wichtig. Die ungeheuren, nie verwirklichten Möglichkeiten der Geschichte. An den Punkten, wo die Wirklichkeit sich in einem überraschenden Moment öffnet und den Blick auf die Landschaft einer anderen Realität freigibt, dort liegen die Bergwerke der menschlichen Phantasie. Und wenn diese Welt eines Tages tatsächlich zugrunde gehen sollte, dann durch den Mangel an Phantasie ihrer Bewohner.
Gewiss, die Realität ist auch wichtig; wir hätten sie nicht der Verwaltung durch Bürokraten und der Beherrschung durch Militärs überlassen sollen. Nun, es musste so kommen, als man das Faktum zum obersten Kriterium machte. Aber was ist sie für den menschlichen Geist? Ein Getto, mit dem sich bescheidene Gemüter zufrieden geben mögen, die nur auf das vertrauen, was sie anfassen können, ein kleiner Ausschnitt aus dem breiten Spektrum menschlicher Existenz.«
Der Wind war fast eingeschlafen. Das große dunkle Segel hing schlaff herab und warf einen schmalen Schatten quer über das Deck. Der Rudergänger schlief. Ganz in der Nähe sprangen Delfine.
Gruß an Leakey
Die Delfine begleiteten sie. Ihre Lust, einen neuen Lebensraum zu erobern, setzten sie in Bewegung um, in heitere Ausgelassenheit. Es waren noch nicht die eleganten glatten Geschöpfe, wie Steve sie in Erinnerung hatte, sondern Tiere mit grauem kurzhaarig samtigen Fell und spitzschnauzigen Köpfen, aus denen die Stummel von Barthaaren sprossen. Es waren lustige, verspielte Gesellen mit pfiffigen Gesichtern und klauenbewehrten Paddeln; sie schnellten aus den Fluten, schnaubten geringschätzig beim Anblick des plumpen Fahrzeugs und tauchten wieder in ihr Element.
Die Barke kroch dahin. Ein schläfriger heißer Südwind spielte lustlos mit dem Segel. Der Kapitän hielt Westnordwest. Am siebten Tag ihrer Reise tauchte das Massiv der Balearen am Horizont auf. Der
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