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Der Letzte Tag Der Schoepfung

Der Letzte Tag Der Schoepfung

Titel: Der Letzte Tag Der Schoepfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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eisiger, der Atem von Mensch und Tier bildet flüchtige Wolken, während hinter ihnen die Sonne rot aus dem Dunst der Küste steigt. Vor ihnen erstrahlt der schneebedeckte Gipfel des Orizaba, in den Schluchten liegt der Nebel. Der Weg führt im Zickzack steil bergan, das Tal verengt sich.
KORREKTUR
    Plötzlich ist vom gegenüberliegendem Hang ein seltsames Geräusch zu hören, wie das Rattern von explodierenden Feuerwerkskörpern, die man an Karneval dicht an dicht gepackt und an Zündschnüren aufgereiht vor den Stufen der Kathedrale abbrennt. Lichtblitze züngeln an zwei Stellen aus dem Gebüsch, dazwischen dumpfe Explosionen wie von abgefeuerten Arkebusen.
    Ein Pferd steigt erschrocken wiehernd hoch, stürzt rücklings in den Abgrund, reißt den Mann mit, der es am Zügel führte. Ringsum öffnen sich feuerspeiende Krater und säen Tod, zuckende übereinander geworfene Körper, die Garben der Stahlmantelgeschosse zerfetzen die baumwollgefütterten Lederwämslein, zerstanzen die Rüstungen wie Karton, fräsen Pferdeleiber auf, Fels zersiebt, Querschläger steigen kreischend in den Morgenhimmel, Cortés im Zielfernrohr eines Scharfschützen, wie er sich unter den Einschlägen zusammenkrümmt und hinstürzt, die Hand am Schwertknauf, die ziselierte Klinge nur halb aus der Scheide gerissen, schaumiges Blut, das aus einem Wams kocht, ein entsetzt blickendes Auge, von einem Geschoss durchdrungen und im Bruchteil einer Sekunde in seine molekularen Bestandteile zerlegt, ein Helm, der sich mit Blut füllt, gerinnendes Eiweiß an Knochensplittern, und über allem der Rhythmus des unaufhörlichen Hämmerns, der Takt dieses grausamen Totentanzes.
    Nach zehn Minuten ist alles vorbei. Eine Weiche ist anders gestellt. Der Tod aus dem Nichts, die mitleidlose Abrechnung für eine lange tragische Geschichte, die sich gerade zu entwickeln begann. Im Keim erstickt.
    Harness hatte hinter dem Punkt vermerkt:
    Datum: 29. August 1519, 9 Uhr Ortszeit
    Ort: Cofre de Perote
    Mission: 4-5 Mann, zwei schwere Maschinengewehre, Granatwerfer, Scharfschützen. Teilnehmer antikolonialistisch motiviert, mit romantischen Neigungen zur Aztekenkultur.
    Durchführung: Umgebaute B 747 mit aufgesetztem Geräteteil (Käfig), als Radaranlage getarnt. Ausklinken mit Fallschirmabsprung kombiniert.
    Ziel: Es ist zu verhindern, dass dieses fanatisierte katholische Gesindel in Mittelamerika Fuß fasst und die alten dort vorhandenen Kulturen auslöscht.
    Kreuzritter, sagte sich Steve. Als wäre das reformierte Gesindel, das ihnen zwangsläufig folgen würde, um ein Haar besser. Als wäre es nicht höchste Zeit gewesen, dass das blutrünstige Pfaffenregime der indianischen Militärdiktatoren auf den Kehrichthaufen der Weltgeschichte gefegt wurde.
    Aber vielleicht ist Amerika nicht von Weißen entdeckt und besiedelt worden. Vielleicht segelte Kolumbus ahnungslos ins Feuer der Küstenbatterien Ahuizolts, die ihm eine wohlwollende Macht der Zukunft aufgeschwatzt hatte, ein kleines Team von Militärberatern aus Japan oder China am Hofe des Kaziken. Der Seefahrer ist auf der Suche nach einem westlichen Seeweg zu den lockenden Gestaden Indiens und der Gewürzinseln verschollen, vom Sargassomeer verschlungen. Keine Kunde von neuem Land im Ozean gelangte je nach Europa, keine unermesslichen Goldschätze lockten. Wer hätte die nächste Expedition bezahlt?
KORREKTUR
    Datum: 12. Oktober 1492, 2 Uhr Ortszeit
    Ort: Guanahani
    Ein Ruf aus dem Mastkorb. Fragende Stimmen in der Dunkelheit, eine Fackel wird entzündet. Männer, die an Deck geschlafen haben, reiben sich die Augen und klettern halb in die Wanten, um die Küste zu entdecken. Es ist nichts zu sehen. Sterne stehen noch am Himmel, glitzern durch Wolkenlöcher. Ächzendes Takelwerk, Wasser rauscht träge die Bordwand entlang.
    Wieder ein Ruf aus dem Ausguck.
    »Land!«
    Befehle werden gerufen, eine Kanone wird losgebrannt. Signale gehen zwischen den Schiffen hin und her, die Rudergänger verständigen sich.
    Ja! Man kann es riechen. Es ist Land. Deutlich der Duft wie von Gewürzen und Fäulnis, den der Wind herüberweht, das Geräusch von Brandung.
    Segel werden gerefft, ein Lot ausgeworfen. Sie stehen mit nacktem Oberkörper an Deck in der Kühle des frühen Morgens. Allmählich verblassen die Sterne in bleifarbener Dämmerung. Vor ihnen eine Küste. Alle starren gebannt, berühren sich, wie um sich zu vergewissern, dass sie nicht träumen. Sie haben das Grenzenlose bezwungen, sind nicht über den Rand des Erdkreises

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