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Der Letzte Tag Der Schoepfung

Der Letzte Tag Der Schoepfung

Titel: Der Letzte Tag Der Schoepfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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altehrwürdigen Gemälde den Geruch von Tod und Verwesung wahrzunehmen. Dankbar blieb er vor jedem Rubens stehen und war entzückt von der prallen Nacktheit seiner lebensvollen Darstellungen vergnügter Sinnlichkeit. Zum Teufel mit der Vergänglichkeit des Fleisches, solange man mit beiden Händen zupacken und die Fülle des Lebens fühlen konnte, sagte sich Steve. Zum Teufel mit diesem ganzen christlichen Abendland, das seiner rätselhaften Bestimmung entgegenfaulte wie ein Lazarus, dem kein Heiland erschien. Wahrscheinlich waren ein paar ganz andere Korrekturen der menschlichen Geschichte nötig, um die Erde zu einer bewohnbaren Welt zu machen, um diesem Planeten jene strahlende Heiterkeit zu verleihen, die sein Anblick aus dem All verhieß: Oase zu sein, ein Labsal in den staubigen Weiten des unendlichen Alls.
    »Ich frage mich oft«, sagte Salomon mit schwielig gerunzelter Stirn und rümpfte die fleischige Nase, »zu welchem Urteil Besucher aus dem Weltall gelangen würden, wenn man sie mit diesen scheußlichen Bildern der Kreuzigung Christi, der Enthauptung Johannes’, der grausigen Foltern der christlichen Heiligen konfrontierte.«
    »Wahrscheinlich dem richtigen«, sagte Steve sarkastisch und schlug den Kragen seines Mantels hoch, als wolle er dahinter Schutz suchen.
    »Würden sie uns für Kannibalen halten?«
    »Sind wir das nicht?«, fragte Steve. »In irgendeiner Weise sind wir Kannibalen geblieben. Nur haben wir unsere Essgewohnheiten entschieden verfeinert, wie das bei zivilisierten Völkern so üblich ist.«
    Nach einer Pause sagte Salomon, die Stirn von tiefen Sorgenfalten durchfurcht: »Auch sie würden, woher sie auch kämen, ihre Götter und Dämonen mit sich herumschleppen, die sie durch die Jahrtausende verfolgt haben und bis in ihre Träume hinein verfolgen. Vielleicht hofften auch sie auf Erlösung, kannten dies hier nur allzu gut und würden es verstehen.«
    Steve zuckte die Achseln und strebte auf den Ausgang zu. Als sie durch das Portal auf die Straße hinaustraten, brach die Sonne zwischen den Wolken durch, und die Farben waren leuchtender als je zuvor. Steve hatte das Gefühl, als schließe sich hinter ihm ein düsterer, wirr mit grausigen Bildnissen bemalter Wandelaltar für immer. Er hatte plötzlich Durst auf einen Schluck kräftigen heißen Kaffee und lud Salomon zu einer Tasse ein.
    Sie fanden ein Straßencafé, das trotz der kühlen Witterung geöffnet hatte, und nahmen Platz. Von den bunten Markisen tropfte es noch, und auf den Platten der weiß lackierten Blechtische standen Wasserlachen. Die Straße vor dem Lokal war von Kronenkorken übersät, verschwenderische Fülle, an heißen Sommertagen in den Asphalt gebacken, doch mehr Erinnerung als Verheißung. Frauen lachten, und die Abendluft war voll prickelnder Frische.
    Spät in der Nacht schrieb er Lucy einen langen Brief, in dem er ihr gestand, dass sie in den fünf Jahren seiner Abwesenheit nichts von ihm hören würde. Und er schrieb ihr, dass er sie über alles liebe.
     
    Zwei Tage später wurden sie in zwei Gruppen aufgeteilt und am späten Nachmittag von zwei großen neuen Touristikbussen abgeholt. »Malaga« stand in großen Lettern über der Windschutzscheibe, sogar ein Reiseleiter war dabei, der in hartem Englisch ein paar Witzchen machte, aber bald alle Munterkeit verlor, als niemand darauf einging. Nach irgendeiner kurzen Rast war er verschwunden. Die meisten Reisenden schliefen. Die getönten Scheiben verfälschten den weichen Abendhimmel zu einer drohenden Gewitterfront. Zwischen La Roda und Albacete wurde es Nacht, die Gegend gebirgiger, Altos de Chinchilla, Sierra del Carrascal, dann Halt in Almansa, ein komplettes Dinner; der Stil des modernen, gähnend leeren Hotels versuchte vergeblich die maurische Vergangenheit zu beschwören; zwei Stunden später Alicante, Geruch von Meer. Die Schilder nach Malaga wiesen nach Süden, der Bus nahm die Straße nach Norden, die Anzeigetafel an der Front wies plötzlich »Barcelona« aus. Ein Schild am Straßenrand, kurz von den Scheinwerfern erfasst, San Juan de Alicante, dann Campello, schließlich Villajoyora. Der Bus hielt in einem winzigen Hafen. Sie stiegen aus. Nur ein paar Lichter brannten. Die Busse verschwanden durch enge Straßen, dröhnten wieder hinauf in die Berge, ließen Stille zurück.
    Schwarzes, von Abfällen bedecktes Wasser schwappte leise gegen die Mole. Der Wind, der vom Land wehte, von den unsichtbaren, mit knorrigen Korkeichen bestandenen Bergen herab, war

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