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Der Letzte Tag Der Schoepfung

Der Letzte Tag Der Schoepfung

Titel: Der Letzte Tag Der Schoepfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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Blick auf zahnlos grinsende Greisengesichter zu erhaschen - doch in dem Moment erwachte er.
    Steve spürte, wie die Beklemmung und die tiefe Traurigkeit, die ihn erfüllt hatten, allmählich von ihm wichen und ihn große Erleichterung überkam. Er hatte Abschied genommen. Und gleich darauf war er in tiefem, traumlosem Schlaf versunken.
    Die Edison war einer der modernsten, als Versorgungsschiff getarnten Käfigträger. Steve und Jerome, die technische Basiseinheit unter Calahan und fünf weitere Zweier-und Vierergruppen sollten von ihr in die Vergangenheit abgesenkt werden.
    Da der Reaktor etwa fünfzig Stunden brauchte, um das künstliche Gravitationsfeld des Käfigs aufzubauen, und die Techniker etwa vierundzwanzig Stunden benötigten, um den leeren Käfig einzuholen, den Generator zu warten und den Käfig neu zu beschicken, konnte nur jeden vierten Tag ausgeklinkt werden. Dies geschah jeweils in den frühen Morgenstunden, wenn es hell genug war, dass der Lichtblitz, der beim Ablösen der Gravitationsblase entstand, von der Sonne überstrahlt wurde und durch Satellitenbeobachtung nicht mehr festgestellt werden konnte, andererseits aber noch zeitig genug, damit der Frühdunst die Dampfentwicklung verbarg.
    Zum Aufbau des Kafu-Feldes wurde der Käfig mit seiner Nutzlast durch eine Schleuse im Schiffsrumpf an Trossen etwa zwanzig Meter abgesenkt. Dort hing er über zwei Tage und Nächte, bis die nötige Feldstärke erreicht war und der Computer des Chronotrons auf die Milliardstelsekunde genau das GO auslöste. Dann wurde der Käfig wieder hochgezogen, gewartet und neu beschickt. Während der ganzen Prozedur galt erhöhte Alarmbereitschaft. Die Edison wurde ständig von zwei Zerstörern flankiert, die U-Boot-Sicherung fuhren, und meistens waren noch weitere Einheiten als Geleitschutz in der Nähe.
    Steve und Jerome sollten als dritte Gruppe ausgeklinkt werden; die Gruppe Calahan-Olsen-Loorey-Singer ihr als vierte folgen. Das bedeutete, dass sie mehr als eine Woche Zeit hatten. Steve verbrachte sie mit Lesen und Kartenspielen. Alkohol erhielten sie - ganz gegen die sonst waltenden strengen Gebräuche auf den Einrichtungen der Navy - so viel sie wollten, als stünde ihnen eine schwierige und verlustreiche Landeoperation bevor.
    Steve dachte an Norman Mailer und was er sonst alles über den Krieg im Pazifik gelesen hatte, als ihm plötzlich einfiel, dass er vergessen hatte sich für die fünf Jahre in der Vergangenheit mit Lesestoff einzudecken. Er benutzte die verbleibenden Tage vor allem dazu, das ganze Schiff nach Büchern zu durchsuchen, erbettelte, lieh und klaute zusammen, was ihm auch nur einigermaßen brauchbar erschien. Dabei machte er die Entdeckung, dass auf so einem Schiff das unglaublichste Sammelsurium an Literatur mitschwimmt. Seine Bibliothek, die er in kürzester Frist zusammengetragen hatte, enthielt natürlich jede Menge Heftchen von Cassius Low, Barry Rauhsack und Billy Hammock, aber auch anspruchsvolle Sachen, der alte Bellow war vertreten, ein paar unverwüstliche Hemingways und Henry Millers, sogar etwas vom legendären Silverberg, von Hesse, Dostojewskij, Tolstoj, Flaubert, eine Auswahl aus den Werken Mark Twains, der erste Band von Prousts »Suche nach der verlorenen Zeit«, »Die Elenden« von Hugo und ein Auswahlband mit Dramen von Strindberg mit dem Titel »Ein Traumspiel«. Steve stopfte so viel er konnte in die Tiefen seines mannshohen Seesacks, der den Expeditionsteilnehmern für ihre persönlichen Habseligkeiten zugebilligt worden war.
    Bei seinen Streifzügen durch das Schiff stellte Steve fest, dass die Edison weit weniger militärisches als wissenschaftliches und technisches Personal beherbergte. Wo man auch hinkam, begegnete man weißen Mänteln und hellblauen Overalls, selten Uniformen. Gespräche mit diesen Leuten waren unergiebig; untereinander debattierten sie in ihrem Fachjargon: von »Feldstärkeäquivalenten« war die Rede, von »Gravitationspulsationen im Gigawattbereich« und »chronotronischen Streubreiten im Zielzeitsektor«, von »Temporalemissionen« und »Masse-Zeitstrecken-Relation«. Die Angehörigen der Einsatzgruppen schienen für sie lediglich so etwas wie Versuchskaninchen oder Meerschweinchen darzustellen, ihr Interesse galt allenfalls dem Körpergewicht und dem Gewicht des Reisegepäcks ihrer Kandidaten. Sie betrachteten die Temponauten als »Nutzlast« für ihre Käfige, deren Masse auf ein paar tausendstel Gramm genau bestimmt und austariert werden musste, um

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