Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Letzte Tag Der Schoepfung

Der Letzte Tag Der Schoepfung

Titel: Der Letzte Tag Der Schoepfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
Vom Netzwerk:
Essen und Trank vertilgen, vor allem, wenn er irgendwo eingeladen war. Böswillige Zungen behaupteten, er könne bei solchen Gelegenheiten aus Gründen der Sparsamkeit auf Vorrat essen und trinken wie ein Kamel und benötige anschließend wochenlang nichts.
    Salomon Singer hatte einen merkwürdigen militärischen Zusatzauftrag, und Steve traute seinen Ohren nicht, als er zum ersten Mal davon hörte: Der Vietnamveteran und ausgewiesene Spezialist für die Erforschung des Seelenlebens von Zeitgenossen und der Besonderheiten ihrer fernen Vorfahren sollte sich mit den Affenmenschen jener Zeit von der Gattung des Australopithecus in Verbindung setzen, ihre Intelligenz testen und sie auf ihre militärische Verwendbarkeit überprüfen, um sie eventuell als eine Art Schutztruppe auszubilden.
    Jerome und Moses brüllten vor Lachen, als sie davon erfuhren, und malten sich eine Horde keulenschwingender Affenmännchen in Navy-Uniformen aus, die sich wutentbrannt auf die Brust trommelten, dass die Orden klimperten.
    Harald Olsen hielt sich den Bauch vor Lachen, und Tränen liefen ihm über die Wangen. »Einfälle haben die«, wimmerte er. »Das darf doch nicht wahr sein!«
    Salomon blickte betrübt von einem zum anderen und sagte schließlich vorwurfsvoll: »So an den Haaren herbeigezogen ist die Idee nicht.«
    Woraufhin alle in noch schallenderes Gelächter ausbrachen, und Jerome rief: »Sie werden bei der Navy dann notgedrungen die Rasiervorschriften ändern müssen.«
     
    Mitte Juni 1986 waren die Vorbereitungen abgeschlossen. Als Touristengruppe getarnt, wurde eine Vorausabteilung von achtzig Mann nach Madrid geflogen. Sie kamen am späten Nachmittag an, und es regnete in Strömen. Zwei Beamte der Guardia Civil, mit Maschinenpistolen bewaffnet und jenen merkwürdigen flachen, schwarzlackierten Schächtelchen auf dem Kopf, die mehr Essgeschirren als dienstlichen Kopfbedeckungen gleichen, kontrollierten ihre Pässe. Einer bestand darauf, dass Moses seinen Aluminiumkoffer öffnete.
    »Schaut euch diese katholischen Schafsnasen an«, knurrte Calahan. Der Beamte untersuchte den Koffer gründlich, musterte den Major mit dunklen, aufmerksamen Augen, die ein bisschen einfältig wirkten und ein bisschen unberechenbar, blieb aber höflich korrekt. Möglicherweise hatte er die Bemerkung nicht verstanden.
    Sie wurden durch die Stadt zum Hotel Escorial gebracht. Es regnete unaufhörlich. Steve hatte sich Madrid immer als eine große staubige Stadt vorgestellt, ein silberner Himmel darübergestülpt und in düstere Helligkeit getaucht, die alle Farben erstickt, in einen leichten Schleier von Grau hüllt, wie er über den Bildern von El Greco liegt; aber die ehrwürdige spanische Metropole zeigte sich in frischem Glanz der Farben, und die Lichter spiegelten sich auf dem nassen Asphalt.
    Am nächsten Tag ging Steve in den Prado. Salomon Singer schloss sich ihm an.
    Der Eindruck, den die berühmte Galerie auf Steve machte, war lähmend. Er mochte Kunst und liebte Malerei, doch die düstere Galerie katholischer Potentaten bedrückte ihn; herausgeputzte Kretins mit Wasserköpfen, das Zepter wie eine Kinderrassel haltend, die kaum verhohlene Qual ihrer körperlichen und seelischen Gebrechen; oft der mühsam kaschierte Schwachsinn, in königlichen Purpur gehüllt. Hinter Gruppen ratloser, wohl genährter Gesichter jenseits steinerner Balustraden über fluchtartig verlassenen Hafeneinfahrten Sturmzeichen, sich verdunkelnde Horizonte, drohendes Wolkengekröse; Infantinnen mit kostbaren, ausladenden Roben, breit wie Straßenkehrmaschinen. Dazwischen ein Archimedes, lächelnd in stiller Einfalt, ein erbärmliches Heureka um den zahnlosen, von dunklem Bartwuchs umwucherten Mund, kränkelnde Gedanken gebärend. Und immer wieder die entsetzlich geschundenen Leiber der Heiligen, abgeschlagene Köpfe auf Platten aus getriebenem Silber und gestärkten, gefältelten Halskrausen serviert, der hundertfach gekreuzigte Heiland, das malträtierte, zerstückte menschliche Fleisch, das Martyrium.
    Die rätselhafte Verzückung mancher Darstellungen ließ ihn schaudern. Ekstatische Frömmigkeit stieß ihn ab; und bei dem Wort »Inbrunst« stellte sich bei ihm die Vorstellung selten gewechselter Unterwäsche gottgefälliger, in Keuschheit gealterter Frauen ein. Dies alles hatte für ihn etwas zutiefst Beunruhigendes, etwas Animalisches, dem jegliche Anmut fehlt, wie es bei manchen Aasfressern der Fall ist. Und in der Tat vermeinte Steve vor manch einem

Weitere Kostenlose Bücher