Der Letzte Tag Der Schoepfung
warm, roch nach durchsonntem Fels und blühendem Salbei. Er fegte Papierfetzen und vorzeitig gefallene Blätter ins dunkle Hafenbecken. Obwohl es Frühsommer war, hatte die Stimmung etwas Herbstliches, etwas Endgültiges, Unwiederbringliches. Steve atmete tief, doch es verschaffte ihm keine Erleichterung. Auch die anderen schwiegen, als spürten auch sie den Bann.
Aus einem Touristenlokal weiter hinten am Strand waren Melodiefetzen von Schlagern zu hören. Ein Esel schrie stöhnend aus tiefster Brust. Ein Hahn krähte zur Unzeit; der Tag war noch fern, die Nacht wie ein dunkles warmes Tuch.
Irgendwann in den nächsten Tagen würden sie spurlos aus dieser Welt verschwinden und in diesen riesigen dunklen Raum, angefüllt mit Milliarden und Abermilliarden Tonnen Wasser und Millionen und Abermillionen Tonnen Leben, eintauchen und hindurchstürzen in eine andere Dimension, in eine sonnenhelle Salzwüste auf dem Meeresgrund, fünfeinhalb Millionen Jahre in der Vergangenheit.
Steve versuchte seine Beklemmung zu überwinden. Auf den mächtigen, abgeschliffenen Steinquadern des Piers lag eine tote Möwe. Er unterdrückte den Impuls, sie in das unratübersäte Wasser zu stoßen. In einiger Entfernung waren zwei Barkassen vertäut, und von irgendwoher tauchten plötzlich ein paar Matrosen der Navy auf, halfen ihnen in die Boote. Minuten später legten sie ab und tuckerten aufs Meer hinaus, ließen die Lichter des Hafens zurück, dünnes Lichtgerinnsel auf den Wellen.
Außerhalb der Hafenmole ging die See höher, und die Barkasse begann zu stampfen. Dann und wann flog den Männern ein Spritzer Gischt ins Gesicht, und das Pochen der Motoren veränderte sich ständig, je nachdem, wie tief die Schraube ins Wasser tauchte.
Sie saßen eng zusammengedrängt auf den weißen plastikbeschichteten Sitzbänken. Niemand sprach, nur achtern, wo ein Matrose an der Pinne saß, quäkte dann und wann eine Stimme aus einem Funkgerät, das der Mann um den Hals hängen hatte, und das er dann jedes Mal an die Lippen hob um zu antworten.
Nach etwa fünfzehn Minuten sahen sie Lichter vor sich. Es war die Fellow , die im Schutz der Insel de Benidorm ankerte. Zehn Minuten später waren sie an Bord.
Sie erhielten eine heiße Fleischbrühe, Sandwiches, Bier und Kaffee. Alle waren um sie bemüht, als hätte man sie aus Seenot gerettet. Decken wurden verteilt; sie nahmen auf Klappstühlen an Deck Platz, unterhielten sich und tranken Bier oder versuchten ein wenig zu schlafen.
Die Fellow hatte sofort nach ihrem Eintreffen die Anker gelichtet und war auf Ostkurs gegangen. Im Morgengrauen näherten sich zwei Großraumhelikopter. Während der eine mit gleißenden Suchscheinwerfern niederging und auf Deck festgemacht wurde, kreiste der andere um das Schiff und prägte mit dem Fackfack-fack-fackfack-fack seiner peitschenden Rotorblätter Runzeln in die grauen Wogen.
Steve und Jerome gingen mit achtzehn weiteren Mitgliedern der Einsatzgruppe an Bord des ersten Helikopters, der sofort wieder startete, während der zweite sich niederließ. Nach etwa zwei Stunden Flug landeten sie auf dem Deck der Thomas Alva Edison , die siebzig Seemeilen südlich von Mallorca kreuzte.
Steve war übernächtigt und nahm dankbar zur Kenntnis, dass ihnen gleich die Kabinen zugewiesen wurden. Dennoch konnte er lange nicht einschlafen, denn er hatte zu viel Kaffee getrunken um sich wach zu halten. Als er endlich schlief, träumte er von einer Flucht aus Altären, auf denen die Bildnisse mit glänzender schwarzer Farbe übermalt worden waren und nun aussahen wie frisch abgewischte aufklappbare Schiefertafeln. Irgendjemand hinter seinem Rücken sagte ungeduldig, er solle endlich anfangen. Steve starrte verwirrt auf das Stück Kreide in seiner Hand und hatte keine Ahnung, mit was er anfangen solle, obwohl er fieberhaft überlegte. Er wusste auch nicht, wer sich hinter ihm befand, wagte es aber nicht, sich umzudrehen, aus Angst, es könnte der Mann mit der Ledermaske sein. Er spürte Blicke im Nacken, und seine Verzweiflung wuchs. Aber seine Gedanken gingen sinnlos im Kreis. Plötzlich erhob sich hinter ihm ein vielstimmiges Gelächter, als wäre eine Schulklasse versammelt, doch es war kein helles Kinderlachen, sondern das boshafte Keckern von Erwachsenen. Steve versuchte vergeblich die Tränen zurückzuhalten und spürte beschämt, dass sie ihm hemmungslos die Wangen hinunterliefen. Da nahm er all seine Kraft zusammen und drehte sich mit einem Ruck um. Er glaubte, noch einen
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