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Der Letzte Tag Der Schoepfung

Der Letzte Tag Der Schoepfung

Titel: Der Letzte Tag Der Schoepfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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eingeschlafen und lag eingebettet in Goodlucks Welt wie ein Meteorstein, der nach einem endlosen Fall in den Tiefen des Alls durch eine günstige Konstellation in einem fremden Schwerefeld zur Ruhe gekommen ist und seine ihm zugewiesene Bahn zieht.

Die dunkle Barke
    Über ihnen graute der Morgen. Unter den Dächern der Festung war es noch stockfinstere Nacht. Steve stolperte schlaftrunken an Haralds Seite dahin, stetig bergauf.
    Dann hörte er leise Stimmen, das Schnauben der Tiere, roch ihren Dung und ihre Ausdünstung. Schatten im Halbdunkel, das Knirschen von Lederzeug, beruhigende Rufe, das Stampfen von Hufen auf hartem Boden. Wasser plätscherte; feuchte, schwabbelnde Wassersäcke aus Fell über Sattel gewuchtet und festgezurrt; das Klappern von Waffen. Irgendjemand reichte ihm eine Tonschale mit heißem Pfefferminztee, dessen intensiver Geruch ihn augenblicklich belebte, er sog ihn tief ein, schlürfte in kleinen Schlucken die Flüssigkeit.
    Als sie oben im Tal die Festung verließen, wurde es bereits Tag. Der Zenit war mit dünnen lachsfarbenen Fähnchen beflaggt. Im Zickzack ging es auf Saumpfaden hinauf aufs Hochplateau. Im Westen lagen die bewaldeten Höhen von San Antioco und San Pietro, benannt nach Heiligen, die noch tief im Schoß der Geschichte ruhten, dahinter die dunstigen Tiefen der Balearensenke, das wachsende Meer.
    Die zwölf Lastkamele hatten vor allem Wassersäcke geladen, Waffen und Munition. Außer Steve und Harald waren noch sechs Männer dabei und vier Knirpse, zwei aus Blizzards und zwei aus Goodlucks Clan. Sie gingen zu Fuß durch Korkeichenwälder, die morgendliche Luft war erfüllt vom Duft der Myrten und des Oleanders, der hier oben weiß, rot und rosafarben blühte und größtenteils schon verblüht war. Mit gleichmäßigen Schritten bewegten sich die Kamele in ihrer seltsam steifbeinigen Anmut und schlafwandlerischen Sicherheit über den von knorrigen Wurzeln geäderten Felsboden.
    Steve hatte Hunger, aber es dauerte lange, bis die erste Rast eingelegt wurde. Er aß einen Streifen getrockneten Fleisches, eine Hand voll getrockneter Datteln und trank den herben, ungezuckerten Pfefferminztee.
    Während die Sonne hoch stand, rasteten sie lange, die Tiere waren abgesattelt und weideten in der Nähe mit zusammengebundenen Beinen. Dann ging es weiter, ständig nach Norden, am Monte Linas vorbei. An seinem Fuß schlugen sie das Nachtlager auf, erreichten am übernächsten Abend einen Fluss, der eines Tages Tirso heißen würde, und lagerten an seinem Ufer. Sie aßen Forellen, die man an Stecken über dem Feuer briet.
    Am sechsten Tag hatten sie das Vorgebirge von Asinara erreicht und begannen mit dem Abstieg in die Senke. Unter ihnen lag das wachsende Meer. Am Abend hatten sie sein Ufer erreicht und hörten seine Wellen, die sich in halbertrunkenen Wäldern brachen. In der kristallklaren Tiefe waren die überfluteten Vorberge zu sehen, deren Bäume sich bereits in das geisterhafte Weiß ihres Todes hüllten, während Seevögel kreischend auf den letzten herausragenden Wipfeln bäumend sich um die Beute stritten. Sie ritten am Ufer entlang weiter nach Norden, bis es tiefe Nacht war. Dann schlugen sie in einer Bucht ihr Lager auf und lauschten auf See hinaus, von wo die Barke kommen sollte.
    Ein paar der Männer hatten tagsüber Schnecken am Weg gesammelt. Nun wurden sie in kochendes Wasser geworfen, dann brach man Dornen von einem Zweig und holte mit ihnen das zarte Innere heraus, um es zu verzehren. Dazu gab es Lamponi, eine süße wilde Zwiebel, die in Massen überall auf dem felsigen Boden wuchs.
    Mitten in der Nacht wachte Steve plötzlich auf, weil er gehört zu haben glaubte, dass die Männer das Lager auf einen höheren Ort verlegten, da das Wasser rasch anstieg. Doch alle schliefen, bis auf zwei Knirpse, die am niedergebrannten Feuer hockten, das zwischen den aufgeschichteten Steinen verglomm. Sie blickten ihn schweigend an.
    Die Wasser waren schwarz. Die flache Dünung verlor sich in Farnen und niedrigem Gehölz. Die ertrunkenen Bäume hatten sich zum Sterben in größere Tiefen zurückgezogen, die kein Vogelruf mehr erreichte. Kühler Salzhauch und der Geruch von Weite, darüber ein Halbmond dicht überm Horizont, der eine schmale zitternde Bahn ins Ungewisse zeichnete.
    Später träumte Steve, als farbenprächtiger, lodernder Flammenvogel durch die Wälder der Tiefe zu stürmen, mit heißem Flügelschlag die bleichen Baumskelette entzündend, wie ein Irrwisch Funken verstiebend.

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