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Der letzte Tag der Unschuld

Der letzte Tag der Unschuld

Titel: Der letzte Tag der Unschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edney Silvestre
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heißen: Dies ist der Raum, den wir gesucht haben.
    Eduardo zog das Seil zu sich herauf, schlang es sich um einen Fuß und begann den Abstieg. Er schwang stärker hin und her, als er erwartet hatte. Er glitt weiter. Nun war er auf der Höhe des oberen Endes der Bücherregale. Die zarte Innenhaut seiner Hände brannte. Er verlor das Gleichgewicht, sein Fuß rutschte aus der Schlinge, und er kippte kopfüber nach vorn. Nach einer äußerst unsanften Landung rappelte er sich stöhnend hoch. Paulo lief zu ihm.
    »Bist du verletzt?«
    »Nein, nein«, antwortete er, mehr ärgerlich über sich selbst als zerschunden.
    »Tut dir was weh?«
    »Es ist nichts weiter, ich bin bloß abgerutscht«, sagte er und klopfte sich den Staub aus den Kleidern. »Hier sind wir richtig, oder?«
    »Ich glaube schon.«
    Eduardo nahm sich ein Buch und schlug es auf.
    »Ja, hier ist es. Das hier ist ein Geburtsregister. Die Heirats- und Sterbeurkunden müssten auch hier sein.«
    »Was soll denn das sein? Da steht erst ein M und dann ein X und dann noch ein M und dann …«
    »Das ist Lateinisch. Das Datum. Das haben wir doch im Lateinunterricht gelernt.«
    »Ach ja. Ich habe nur nicht gedacht, dass in Brasilien auch Sachen auf Lateinisch geschrieben werden.«
    Sie brauchten nur ein paar Schritte zu gehen und die Buchrücken und Schilder an den Regalen zu betrachten, dann hatte Eduardo erkannt, dass sie woanders suchen mussten.
    »Diese Bücher hier sind alle aus dem letzten Jahrhundert.«
    »Welches Buch müssen wir denn finden?«
    »Das von 1937. Wenn Dona Anita vierundzwanzig war, als sie gestorben ist, dann ist sie 1937 geboren.«
    »Der Alte hat gesagt, sie hat jung geheiratet.«
    »Mit fünfzehn. Wenn das wahr ist, steht es im Heiratsregister von 1952. Das brauchen wir auch.«
    Sie fanden das Regal mit den dreißiger Jahren, und kurz darauf hielten sie das Buch mit den Geburtsurkunden von 1937 in Händen. Sie trugen es zu einem Fenster, legten es auf den Boden und blätterten es durch. Schließlich waren sie auf der letzten Seite angelangt, ohne einen Eintrag über ein Mädchen namens Anita gefunden zu haben. Also fingen sie wieder von vorne an, Seite für Seite. Paulo dachte, dass es besser gewesen wäre, wenn sie eine Taschenlampe mitgebracht hätten. Eduardo fuhr kopfschüttelnd mit dem Zeigefinger die handgeschriebenen Zeilen entlang.
    »Nein, nein, nein, nein, nein. Es gibt keine Anita. Nur Ângela, Antonia, Aparecida, Apolônia, Almerinda …«
    Paulo schlug vor, in den Heiratsurkunden von 1952 zu suchen. Eduardo stimmte zu, ohne den Blick von den vergilbten Seiten vor seiner Nase zu wenden. Er blätterte nun von hinten nach vorne und las leise: »Adelina, Adriana, Alfredina, Amarílis, Ana Beatriz, Ana Cristina, Ana Elisa, Ana Helena, Ana Isabel, Ana Lúcia, Ana Maria, Ana Olívia, Ana Paula, Ana Rita, Andralina, Ane … Anêmona …«
    Kurz darauf war Paulo zurück.
    »Und?«
    »1937 ist keine Geburt einer Anita verzeichnet.«
    »Lass mich mal sehen«, bat Paulo und schob das Buch von 1952 zu Eduardo hinüber.
    Der Raum roch nach Schimmel und Staub. Offensichtlich war hier schon lange nicht mehr geputzt worden. Die Feuchtigkeit wurde Eduardo allmählich unangenehm. Er spürte, wie ein Niesen in ihm aufstieg, hielt sich mit beiden Händen die Nase zu, hielt den Atem an, sah ins Licht der Straßenlaterne, aber keiner der ihm bekannten Tricks half. Er musste trotzdem niesen. Und noch dazu war er vom starken Licht geblendet. Einen Augenblick lang verschwammen die Seiten vor seinen Augen. Also bat er Paulo: »Sieh doch mal hier nach! Such nach dem Namen des Zahnarztes im Heiratsregister.«
    »Ich weiß nicht, wie er heißt. Die Leute nennen ihn immer nur den Zahnarzt.«
    »Er heißt Doktor Henrique Irgendwas.«
    »Hier ist ein Eribert. Ohne H.«
    »Nein. Wenn der Zahnarzt nicht Henrique heißt, dann Ernesto. Oder … Hélio?«
    Paulo suchte. Vergeblich. Seite um Seite.
    »Ich habe keinen Hélio gefunden. Einen Ernesto auch nicht. Und keinen Henrique. Es gibt einen Umberto. Umberto Moreira.«
    »Nein, Umberto war es nicht.«
    »Heleno Costa?«
    »Nein.«
    »Amâncio?«
    »Das könnte sein. Mit wem verheiratet?«
    »Nanci Andrade.«
    »Nein. Gibt es keinen, der mit einer Anita verheiratet ist?«
    »Niemanden. Mit dem Buchstaben A gibt es eine Ana Viana, die einen Waldir Haddad geheiratet hat. Ein Djalma Carvalho hat eine Alice Felix geheiratet. Ein Luis Perrone eine Antonina Giuseppe. Es gibt einen Francisco Andrade, der Aparecida dos

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