Der letzte Tag: Roman (German Edition)
ausgesetzt ist. »Du wirst heute Nacht bestimmt gut schlafen.«
»Das will ich doch hoffen. Wenn ich noch ein paar Bier mehr getrunken habe. Möchtest du den Salat?«
Die Schale mit dem Caesar Salad, der mit texanischem Toast serviert worden war, nahm fast den ganzen Tisch ein. Darin mussten sich mindestens ein Kilo Schinkenspeck und zwei riesige Salatköpfe befinden. Kyle schob sie zu Dan hin. »Wenn du weiter so wie Elvis futterst, müssen wir dir für die Heimfahrt einen Jogginganzug in Übergröße besorgen.«
»Leck mich«, sagte Dan und schaufelte sich eine Portion Croutons in den Mund.
»Man soll auch das Grünzeug essen. Nicht nur die knusprigen Sachen mit den Massen von Kohlehydraten.«
Dan zeigte ihm den Mittelfinger. »Du siehst ziemlich erledigt aus. Hat das Fahren dich so angestrengt?«
Kyle zuckte mit den Schultern. »Ja und nein.«
»Der ganze Scheiß hier kann einem aber auch zusetzen.«
»Kannst du laut sagen.«
»Ziemlich heftig, ich meine, die sitzen da alle mit durchgeschnittenen Kehlen nebeneinander in diesem Zimmer. Da ist mir ganz anders geworden. Und dann die Toten am Zaun. Die haben sie auf der Flucht von hinten erschossen und dann den Hunden zum Fraß vorgeworfen.« Dan schüttelte den Kopf und wischte sich mit einer Serviette, die groß war wie ein Handtuch, über den Mund. »Und dann die Kinder. Diese verdreckten Kinder in der Hütte. An diesem schrecklichen Ort. Warum sind die bloß dahin …« Alles Leben schien aus Dans Gesicht zu weichen, und Kyle war klar, dass er jetzt an den Bauernhof in der Normandie dachte. »Wenigstens hat diesmal keiner ein Bein verloren.«
Sie starrten einander an. Und dann packten sie sich gegenseitig an den Schultern und brachen in lautes Gelächter aus. Sie lachten so heftig, dass Kyle schon dachte, er würde zu heulen anfangen. Die Kellnerin kam zu ihnen und stimmte mit ein, obwohl sie überhaupt nicht wusste, worum es ging. Aber sie sah gut aus, hatte ein süßes Lächeln, und Kyle war froh, sie in der Nähe zu haben. Dan bestellte noch zwei Bier bei ihr. Im Hintergrund fing Cinderella an, »Gypsy Road« zu singen.
Kyle tupfte sich die Augen mit einer sauberen Serviette ab. »Das musste mal sein.«
Dan nickte. »Finde ich auch. Aber die Sache mit Gabriel ist natürlich überhaupt nicht lustig. Nur dass du’s weißt. Ich hab keine Ahnung, warum ich so lachen musste.«
Sie sahen sich grinsend an. »Du bist eben ein kranker Typ. Aber ich hab’s ja schon mal gesagt: Das hier ist der große Hit. Wir machen einen richtig starken Film. Ich meine, einen richtig bedeutenden Film. Ich weiß, dass das ziemlich harter Stoff ist. Ziemlich beunruhigend. Aber es ist auch was ganz Besonderes, das ist dir doch klar, oder? Sag’s mir.«
Dan nickte. »Ja, sicher.«
»Ich hab’s ja die ganze Zeit schon gesagt.« Seine Begeisterung bekam einen Dämpfer, als ihm bewusst wurde, dass er das vor allem gesagt hatte, um sich selbst Mut zu machen.
Dan lehnte sich zurück. »Aber das war nur der erste Teil unserer Dreharbeiten dort draußen. Ich frag mich, was da wohl noch alles auf uns zukommt.«
Kyle schaute verlegen auf die Flaschen mit den diversen Soßen. »So weit, so gut. Nur ein lockeres Interview noch … sonst nichts. Hast du das Buch von Levine durch?«
»Noch nicht. Ich hab mich gefragt, ob ich’s nicht lieber lasse. Je weniger ich von diesem Scheiß weiß, umso sicherer bin ich, hab ich mir gedacht.«
»Du musst es aber lesen. Heute habe ich Sachen erfahren, die da nicht drinstehen. Das mit den Hunden. Wieder diese Hunde. Conway sagte, sie seien in der Luft gewesen. Levine hat geschrieben, sie seien weggelaufen. Das hat die Polizei damals gesagt. Aber auf unseren Aufnahmen in der Clarendon Road sind Geräusche von Hunden zu hören. Die Hausbewohner dort haben sie ebenfalls gehört. In der Normandie haben die Hunde aus der Umgebung Angst vor dem Hof. Und was ist mit den Spuren in der Mine? In Die Letzten Tage macht Levine ein ziemliches Aufheben wegen der Fußspuren, weil er den Verdacht hat, dass einige der Mörder entkommen sind. Die Polizei hat nie herausgefunden, wovon genau diese Abdrücke stammen. Levine behauptet, es seien Abdrücke von nackten Füßen gewesen. Nackte Füße von durchgedrehten Hippies. Aber Conway meinte, es seien Abdrücke
von Knochen gewesen. Knochen. Denk an meine Wand zu Hause. Knochen. Das Badezimmer in Caen, Knochen. Der Tempel auf dem Hof in der Normandie. Knochen. Gestalten aus Knochen. Knochen. Das eine hat doch
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