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Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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»Tatort« bezeichnet wurde. Die einzigen Bilder vom Ort des Verbrechens in Levines Die Letzten Tage zeigten die ehemalige Kupfermine aus der Luft, die blutgetränkten Holzbohlen im Tempel-Gebäude, die Leichen vor dem Zaun und den besessenen Gesichtsausdruck von Bruder Belial, der auf dem Rücksitz eines Streifenwagens saß, ein Bild, das ein eifriger Pressefotograf in der Mordnacht gemacht hatte – und diese Fotos waren auch nur in der dritten Ausgabe von 1978 abgedruckt.
    »Die Hippies haben Bilder gemalt von irgendwelchen Wesen, die keine Haut oder kein Fell hatten. Da es keine Verhandlung gab, müssten die Fotos davon noch in den Polizeiakten sein. Ich hatte aber keine Lust, sie mir noch mal anzuschauen. Ziemlich krankes Zeug, wenn Sie mich fragen. Natürlich hat die Presse ein Jahr lang behauptet, das Gemetzel sei Teil eines satanistischen Rituals gewesen. Mit Menschenopfern, als die Ekstase ›einen kritischen Punkt‹ erreichte. Die meisten Leute glauben immer noch, dass es so gewesen ist.« Conway blinzelte verstohlen. »Aber ich meine, dass ein Teil von diesen Arschlöchern sich davongemacht hat. Belial, Moloch und Baal haben einige Morde auf dem Gewissen, klar. Aber sie waren das nicht allein. Ganz bestimmt nicht. Ein paar von den Verrückten haben sich davongemacht. Haben zugebissen und dann das Weite gesucht. Hier draußen ist schon viel früher einiges aus dem Ruder gelaufen, lange bevor ich mit Jiminez ankam. Das steht mal fest.«
    Dan schaute in die Wüste, in die gleiche Richtung, in die auch Conway und Kyle jetzt blickten. Und alle drei spürten ein leichtes Prickeln auf der Haut, als der kühle Hauch der beginnenden Dämmerung über ihre von der Sonne aufgeheizten Arme und ihre angespannten Gesichter strich.

Route 66 Bar and Grill, Yuma, Arizona
19. Juni 2011, 22 Uhr
     
    Nachdem sie sich von Conway verabschiedet hatten, steigerte sich Kyles ängstliches Schwanken zwischen Glauben und Unglauben zu Panik. Die laute Musik trieb seine rotierenden Gedanken weiter an, dabei sollte er besser zur Ruhe kommen. Ihm war schlecht, er hatte zu viel geraucht, war völlig ausgetrocknet von der Hitze des Tages, und in seinem Kopf drehte sich alles. Er hatte das Gefühl, er müsste sich am Tisch festklammern.
    Das war alles nicht möglich, nichts davon war möglich. Es konnte einfach nicht sein, dass diese »Wesen« und »Erscheinungen« Teil des Alltags der Letzten Zusammenkunft und des Tempels der Letzten Tage gewesen waren. Aber er hatte sie nun mal gesehen: Auf den Wänden des Hofs in der Normandie, in Caen, in London, sogar in seiner eigenen Wohnung und nun auch in einer verlassenen Kupfermine in Arizona. Kyle schloss die Augen und bemühte sich, ruhig zu atmen. Er suchte dringend nach den Antworten auf zwei Fragen: Was zum Teufel ging hier vor? Und waren sie in Gefahr?
    »He, Kumpel, du verpasst was.«
    Kyle blickte auf. »Was?« Hinter Dans massigem Körper sah er die Bar. Das Lokal wurde von gedämpften orangefarbenen Lampen mit muschelartigen Schirmen beleuchtet, die den gesamten
Raum in ein gelbliches Licht tauchten, das ihn an die Farbe von Bier erinnerte. An den vertäfelten Wänden hingen Wimpel von Sportvereinen und Bilder bekannter Athleten, dazwischen jede Menge Eishockey- und Baseball-Devotionalien. Eine Jukebox flackerte hin und wieder auf, und Leuchtstoffröhren erhellten einen Billardtisch im Hintergrund.
    Dans Kinn und Mund glänzten fettig, nachdem er in Windeseile einen ganzen Berg von Chicken Wings vertilgt hatte, die in einem Holzkorb serviert worden waren. Nachdem er einen großen Schluck Bier getrunken hatte, schossen ihm die Tränen in die Augen. »Mann, das ist so kalt. Meine Hand ist am Glas festgefroren.« Dan schaute zur Decke und grinste. »George Thorogood and the Destroyers. Die hab ich seit meiner Schulzeit nicht mehr gehört. Davor haben sie die Georgia Satellites gespielt. In einem Pub bei uns zu Hause kriegst du so was nie zu hören. Oh, oh, was ist das jetzt? Das Stück kenne ich doch … Motley Crue – ›Home Sweet Home‹.«
    Kyle rang sich ein Lächeln ab, um Dans Begeisterung nicht zu dämpfen. Sein Freund war noch nie im Westen der USA gewesen, nur in New York. Alles hier faszinierte ihn: die Straßenschilder, das Essen, das Motel, die Autos, die Werbetafeln am Rand des Highway, die Malls und die Straßenbeleuchtung, die Gebäude und die Berge. Außerdem war er noch nie in einer Wüste gewesen. Er benahm sich wie ein Kind, das totaler Reizüberflutung

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