Der letzte Tag: Roman (German Edition)
er auch nicht geschlafen, weil er die ganze Zeit an den Änderungen im Skript für die bevorstehenden Aufnahmen gearbeitet und sie mit dem Zeitplan und den Anmerkungen von Max abgeglichen hatte. Außerdem hatte er ständig Levines Letzte Tage zurate gezogen. Die zwei
Tage in der Wüstenhitze hatten seine letzten Energiereserven aufgebraucht, und die beiden Biere, die er vorhin an der Bar getrunken hatte, hatten wie eine Beruhigungsspritze gewirkt. Nach dem Interview auf der Ranch war Dan schon am Tisch in einem Diner eingeschlafen. Sogar durch die Wand des Motelzimmers konnte Kyle ihn auf der anderen Seite schnarchen hören. Er klang wie eine klapprige Maschine, die dringend geölt werden musste.
Kyle hingegen wollte noch nicht schlafen gehen. Nicht nach dem, was Conway ihnen gestern erzählt hatte. Emilio Aguilars Aussage an diesem Morgen hatte das Ganze nur noch verschlimmert. Er hatte überhaupt keine Lust, die Augen zu schließen, nachdem er vergangene Nacht wieder abrupt aus seinen Träumen geschreckt war. Was genau er gesehen hatte, war ihm nicht in Erinnerung geblieben, aber er war dreimal im Dunkeln aufgewacht, mit einem Schrei oder nach Luft schnappend, und war der festen Überzeugung gewesen, dass kleine kalte Hände nach seinen eigenen gefasst hatten. Die Hände hatten versucht, ihn aus dem Bett zu zerren. Nachdem ihm das zum dritten Mal um vier Uhr morgens passiert war, hatte er sich unter die Dusche gestellt.
»Scheiße, es reicht.« Kyle rieb sich mit den Händen das Gesicht, bemüht, die Augen aufzuhalten. Er stand auf und streckte sich. Goss noch mehr Kaffee aus der kleinen Kanne in seinen Becher und fügte einen Schuss Wild Turkey hinzu. Dann setzte er sich wieder vor den Computer und spulte das Interview mit Aguilar zu der Stelle zurück, bei der er eingeschlafen war.
In den Produktionsnotizen von Max war die Criollo Ranch in der Nähe der Kupfermine in Bezug auf das Geschehen in der Nacht des Aufstiegs im Jahr 1975 besonders hervorgehoben worden. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem Sergeant Conway und sein Kollege Jiminez vor Ort ankamen und die Leichen fanden, war der inzwischen verstorbene Besitzer der Ranch, Ramirez Aguilar, der einzige Zeuge der nächtlichen Ereignisse gewesen – fast ein Augenzeuge sogar.
Irvine Levine hatte Ramirez Aguilar 1975 befragt, aber seine Erzählung las sich wie die Wahnvorstellungen eines Irren. Aus diesem Grund war Aguilars Glaubwürdigkeit als Zeuge im Rahmen der seriösen Ermittlungen stark beschädigt worden. Ramirez Aguilar hatte in einem der Dokumentarfilme aus den Siebzigern einen Auftritt gehabt, sich später aber geweigert, mit irgendjemandem noch einmal über diese Sekte zu sprechen.
Die Ranch lag drei Kilometer westlich der Blue Oak Kupfermine. Emilio Aguilar, der Sohn von Ramirez, erwartete sie bereits, um ihnen das Interview zu geben, das Max arrangiert hatte. Er hatte nur deshalb zugestimmt, weil er seinen Vater und dessen bizarre Zeugenaussage über die Vorgänge vor der Mordnacht in der Mine verteidigen wollte. Und wie Conway, das bekam Kyle auch noch mit, hatte er sich geweigert, für sein Interview Geld zu nehmen. Es ging also nicht allen nur ums Geld.
Der Ton war gut, weil Dan alles perfekt eingestellt hatte.
»Mein Vater hat oft mit uns über die Mine gesprochen. Der Tempel der Letzten Tage war wahrscheinlich das einzige Interessante, was all die Jahre, in denen er hier draußen lebte, passiert ist. Und im ersten Jahr hatte er sogar ziemlich gute Beziehungen zu diesen Leuten. Ich selbst kann mich an kaum etwas erinnern. Ich war gerade mal zwei Jahre alt, als sie herzogen und sich in der Mine einrichteten. Also muss ich wohl ungefähr fünf Jahre alt gewesen sein, als die Polizei kam und dort alles auf den Kopf stellte. Aber zu Hause hat mein Vater sehr oft über die Leute vom Tempel gesprochen. Manchmal, sagte er, waren sie sogar zu ihm gekommen, um mit ihm zu reden. Manchmal arbeiteten sie sogar auf seiner Ranch. Säuberten die Ställe. Fütterten die Pferde. Striegelten sie. Solche Sachen halt. Es waren junge Leute. Die waren gern in der Nähe der Pferde und konnten meinen Vater gut leiden. Mein Vater mochte die meisten von ihnen auch. Einige der Mädchen taten ihm leid. Er sagte, das seien doch eigentlich noch Kinder. Er machte sich Sorgen um sie. Immer wieder
erklärte er mir und meinem Bruder, wie glücklich wir uns schätzen dürften, dass wir ein richtiges Zuhause hätten und nicht weglaufen mussten und uns so einem Hippie-Kult
Weitere Kostenlose Bücher