Der letzte Tag: Roman (German Edition)
Aber er will heute noch eine definitive Antwort haben, ob wir dabei sind. Ohne dich kann ich das nicht machen, Kumpel. Will ich auch nicht.«
Er hörte, wie Dan am anderen Ende aufstand. Dann wurde die Klospülung betätigt.
»Wisch dir den Hintern ab, und wasch dir die Hände.«
»Um was geht es denn genau?«
»Ich hab mir den Drehplan angeschaut. Da ist so eine alte Mine. In Arizona. Arizona, Alter! Unglaublich, oder? Dann noch ein paar Häuser in den Staaten. Eins davon in Seattle. Da wollte ich schon immer mal hin. Ein Bauernhof in Frankreich. Nichts davon ist besonders problematisch. Alles Aufnahmen bei Tageslicht. Interviews ohne Kamerafahrten, keine Totalen, Großaufnahmen an abgelegenen, verlassenen Orten. Keine Straßen, keine Menschenmengen. Unberührte Gegenden ohne nervtötende Gaffer. USB-Verkabelung, Laptop als Monitor, zwei Kameras. Kein großer Aufwand. Der einzige Nachteil ist, dass der Zeitplan so eng ist, dass wir keine Nachdrehs, keine zusätzlichen Aufnahmen machen können. Wir dürfen es also nicht vermasseln.«
Hektik und schlechte Vorbereitung waren immer kontraproduktiv. Aber in diesem Fall waren die Vorarbeiten ja schon erledigt. Oftmals hatte er Tage damit verbracht, jeden einzelnen Drehort genau zu inspizieren, bevor er die Kamera ausgepackt hatte. Das konnte er sich in diesem Fall nicht leisten. Hatte Max allen Ernstes vorgeschlagen, er solle in den ersten vier Tagen nicht nur die Fotos des ersten Drehortes studieren, sondern auch die Perspektiven festlegen und eine Liste der Einstellungen machen? Um anschließend durch drei Länder zu reisen … in wie vielen Tagen … er konnte sich nicht mehr erinnern, aber viele waren es nicht gewesen. War das überhaupt möglich?
»Erzähl weiter. Worum geht es denn in dem Film?«
»Die Story ist ziemlich heftig.« Er hatte sein mageres Wissen über den Fall aufpoliert, als er in der Kneipe das Buch Die letzten Tage durchgeblättert hatte. Wie alle, die ein True-Crime-Buch aufschlagen, sah er sich als Erstes die Fotos an. Darauf waren typische Amerikaner aus den Siebzigern zu sehen, schwarze und weiße, mit langen Haaren, perfektem Gebiss, Sommersprossen, und Mittelscheitel. Außerdem Luftaufnahmen von verlassenen, windschiefen Holzhäusern, dazu Landkarten und Tatort-Fotos,
die ihn dazu brachten, das Buch zu drehen und verkehrt herum zu halten, um herauszufinden, ob da eine Hand oder ein Fuß zu sehen war. Vor allem aber erfasste ihn bei der Lektüre ein Schauer echter Begeisterung. Das lang vermisste Gefühl, einer Sensationsgeschichte auf der Spur zu sein, machte ihn regelrecht benommen. »Der Tempel der Letzten Tage«, erklärte er Dan. »Hippie-Mörder. Ich les mir das Material durch, sobald ich nach Hause komme. Geh du mal ins Internet, und bestell Irvine Levines Buch Die letzten Tage . Die dritte Auflage. Das ist ein Sachbuch. Max hat Interviewtermine mit den wichtigsten Überlebenden arrangiert. Die gesamte Vorproduktion ist erledigt. Alles. Kannst du dir das vorstellen?«
»Darüber wurde schon mal was gemacht. Ich hab einen Film darüber gesehen.«
»Es wurden sieben Filme darüber gedreht. Aber in denen geht es um Sektenmorde und Polizeiarbeit. Bislang hat niemand sich mit den paranormalen Aspekten befasst. Da kommen wir ins Spiel. Genau wie bei Blutrausch . Drei Länder. Sechs Drehorte. Elf Tage. Wir ziehen los und drehen.«
»Elf Tage! Das ist aber sehr knapp, Kyle.«
»Stimmt, aber es ist nicht unmöglich. Sein Zeitplan ist ziemlich ausgeklügelt. Absolut professionell. Wenn das unser eigener Film wäre, dann würden wir ihn für tausend Pfund in der Hälfte der Zeit abdrehen. Wenn wir hiermit fertig sind, müssen wir uns wahrscheinlich einen Monat lang erholen, aber das können wir uns dann auch leisten. Hab ich schon die hunderttausend Pfund Vorschuss erwähnt?«
Da er sich weigerte mit Dan zusammen Dokus über Hochzeiten oder Taufen oder Schulungsfilme für Firmen zu drehen, war er darauf angewiesen, sein Essen mit Arbeiten in einem Videoarchiv in Soho, Assistenzjobs als Tontechniker bei Live-Aufnahmen oder Agenturaufträgen zu verdienen. Kürzlich hatte er sogar in einer Lagerhalle in Wembley Mobiltelefone in Kisten
verpackt, zusammen mit Einwanderern aus Ghana und jungen Asiaten, die teure Smartphones besaßen, mit denen sie ununterbrochen telefonierten, um anderen Leuten von ihren Erfolgen als DJs oder Musikproduzenten zu berichten. Heutzutage hatte jeder Trottel ein großes Projekt vorzuweisen. Eine Woche mit
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