Der letzte Tag: Roman (German Edition)
Nachtschichten in diesem Kaufhaus der abgehalfterten Träume hatte ihn so frustriert, dass er sich richtig krank gefühlt hatte. Aber nun stand ihm eine glorreiche Zukunft als Guerilla-Filmer bevor.
Ein längeres Schweigen brach zwischen Dan und Kyle aus. Nichts war wahrnehmbar außer dem Geräusch eines schwer atmenden Mannes und der Stille des anderen, der den Atem anhielt. »Du willst dich nur über mich lustig machen, Kyle. Lass das doch, bitte.«
»So gemein bin ich nicht. Aber ich brauch diesen Job. Und meine Schutzengel haben ihn mir zugeschanzt.« Abgesehen von den Schulden wegen seiner Filme, war er drei Monate mit der Miete im Rückstand und hatte die letzten fünf Monate von einer ungedeckten Kreditkarte gelebt. Er war vor Gericht geladen worden, weil er die Gemeindesteuer nicht bezahlt hatte, und man hatte ihm angedroht, Gas und Strom abzudrehen, wenn er die Rechnungen aus den letzten achtzehn Monaten nicht schnellstens beglich. Jeden Morgen, wenn er das Licht einschaltete, war er erstaunt darüber, dass es noch funktionierte. Und jetzt hunderttausend Pfund! Er hatte noch nie mehr als zehntausend für einen ganzen Film ausgegeben. Der Letzte hatte ihn und Dan sechstausend gekostet, und sie hatten in der Nähe der Drehorte im Zelt übernachtet. Wenn sie einen weiteren Film zusammen machen wollten, konnten sie weniger als zweitausend dafür einplanen. Aber das war jetzt ja vorbei. Sie hatten jetzt hundert Riesen, die sie durch drei teilen konnten. Dann wäre er seine Schulden los. Keine roten Zahlen mehr.
Dan war jetzt offenbar von seiner Begeisterung angesteckt
worden, denn seine Stimme zitterte leicht: »Gleiche Bedingungen für die Crew wie bei Hexenzirkel und Blutrausch ?«
»Absolut. Ich bin Fahrer, Produzent, Tontechniker, Regisseur, Autor, zweiter Kameramann, wenn nötig, und Caterer. Du machst die Regieassistenz, Kamera, Licht, kümmerst dich um die Schminke und hast das Recht, dir als Erster das Bett auszusuchen. Beim Ton und dem Kleinkram wechseln wir uns ab. Mouse ist unser Cutter. Den werde ich jetzt gleich anrufen.«
Kyle hatte Finger Mouse noch nie woanders als in seinem Stuhl vor dem Computer gesehen, immer mit der Maus unter der Handfläche, ständig am Klicken, auch wenn er redete. Falls er überhaupt was sagte. Es hieß, Finger Mouse hätte seine Souterrain-Wohnung in Streatham seit einem Jahrzehnt nicht verlassen und besäße nicht mehr als zwei Hemden. Sein langer Bart gab ihm das Aussehen eines Generals der konföderierten Truppen im amerikanischen Bürgerkrieg, und sein milchig-grüner Teint schien alle Gerüchte zu bestätigen. Wenn er Sonnenlicht abbekam, war er erledigt. Er ging nicht mal zu den Premieren der Filme, die er geschnitten hatte. Wenn er an einem Schnitt arbeitete, verbrachte Kyle die meiste Zeit am Tag und in der Nacht damit, nur mit der einen Seite des Kopfes von Finger Mouse zu sprechen. Inzwischen hatte er wahrscheinlich insgesamt ein Jahr seines Lebens in dem Souterrain-Studio von Mouse verbracht, aber er hatte noch immer Probleme, sich das Gesicht des Cutters nicht nur im Profil, sondern von vorne zu vergegenwärtigen. Finger Mouse würde wahrscheinlich in seinem Stuhl vor dem Bildschirm sterben. Aber nicht, bevor dieser Film beendet ist!
Die drei Männer machten selten eine Bemerkung über die persönlichen Unzulänglichkeiten der anderen, weil es die Zusammenarbeit einfach erschwert hätte. Aber Dan war ein Vielfraß, wenn er nervös wurde, und konnte sich über technische Details bei Kameras und Lichtausrüstung einen runterholen. Kyle war ein neurotischer Pfennigfuchser, und Finger Mouse betrachtete
das Leben in Sequenzen von 24 Bildern pro Sekunde. Deshalb waren die drei auch mit Anfang dreißig noch immer Singles, und keiner hatte bislang Gelegenheit gehabt, für Nachwuchs zu sorgen. Ihre Existenz als Filmemacher hatte sie zu Sonderlingen gemacht. Finger Mouse war noch nie eine echte Beziehung eingegangen. Dan hatte auf der Filmhochschule eine Freundin gehabt, weigerte sich aber standhaft, darüber zu sprechen. Kyle hatte fünf Affären durchgestanden, die allesamt katastrophal geendet hatten, eine davon hatte immerhin sechs Monate gedauert. Mehr noch als seine Unfähigkeit, eine Beziehung einzugehen, und seine Schulden, hatte sich die Aussicht, nie mehr einen Film drehen zu können, zerstörerisch auf Kyle ausgewirkt. Bis eben noch hatte er seine Zukunft als erschreckend leer und sinnlos empfunden. Aber diese Angst vor der vollkommenen Leere, die sich
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