Der letzte Tag: Roman (German Edition)
vor ihm auftat, war sofort verschwunden, als Max ihm das Angebot gemacht hatte. Ohne Filmprojekt war sein Leben nichts wert. »Dan, bist du dabei oder was?«
»Warte. Warte. Ich frage mich … wie wir das filmen sollen.«
»Jede Menge Echtzeit.«
»Das habe ich befürchtet.«
»Wir haben völlige künstlerische Kontrolle. Du weißt ja, was ich von schnellen Schnitten halte. Scheiß drauf. Warum muss alles immer so schnell sein? Zitate, die man nach zwei Sekunden schon wieder vergessen hat, weil die Szene sich schon neunmal geändert hat. Wir können das alles langsamer angehen. Uns auf das Wesentliche konzentrieren. Wir müssen uns nicht mit knappen Statements zufriedengeben. Das ist kein Actionfilm. Wir sind frei in der Gestaltung, als wäre es unser eigenes Projekt, nur dass jemand anderes es bezahlt. Wir können die Interviews mit zwei Kameras aufnehmen und dann zusammenschneiden. Dann noch ein paar Gegenschüsse und Nahaufnahmen für Finger Mouse, damit er sich beim Schneiden nicht langweilt.«
»Wir müssen also nichts weiter tun als filmen? Kein Klinkenputzen,
keine Projektpräsentation, keinen Drehplan ausarbeiten, den ganzen Nervkram. Wir bekommen alles fertig serviert. Als Geschenk? Erbschaft? Lotteriegewinn? Falls das ein Scherz sein sollte, Kumpel, dann gnade dir Gott!«
»Es ist alles absolut korrekt.«
»Kaum zu glauben, oder?«
»Ich rieche doch, wenn etwas nicht stimmt. Und das hier riecht sauber.«
Dan schwieg eine ganze Weile, dann fragte er: »Wann soll’s denn losgehen?«
»Samstag.«
»Samstag?«
»Diesen Samstag.«
»Diesen Samstag!«
Aus Maximillian Solomons Produktionsnotizen:
Das ursprüngliche Zentrum der »Letzten Zusammenkunft« steht inzwischen zur Vermietung frei und liegt zwischen verpachteten Grundstücken. Ich habe die Erlaubnis eingeholt, im Inneren filmen zu dürfen. Aufnahmen von außen und innen sind meiner Ansicht nach überaus wichtig für unser Projekt. Ein ursprüngliches Mitglied der »Letzten Zusammenkunft« wird sich an der unten angegebenen Adresse mit Ihnen treffen und ist bereit, ein Interview zu geben und alles zu erzählen, was damals im Jahr 1967 bei Gründung der Gruppe geschehen ist. Sie heißt Susan White und ist auch als Schwester Isis bekannt (siehe Biografie-Teil). Die Dreharbeiten dort können am 11. und 12. Juni stattfinden.
Clarendon Road, Holland Park, London
11. Juni 2011, mittags
»Das dort drüben mit der roten Tür war unsers. Die Tür war damals nicht rot. Sie wurde später so gestrichen.« Sie fing an zu reden, kaum dass sie einen ihrer kleinen Füße auf das Pflaster gesetzt hatte, und deutete mit einer schmalen Hand auf das dreistöckige,
vornehme georgianische Haus. Ihr Taxi, mit dem sie aus Hackney gekommen war, rauschte davon, die schwarze Karosserie glänzte unter dem bewölkten Himmel.
Kyle wandte sich wieder dem wilden weißen Haarschopf zu, der den gebeugten Körper von Susan White krönte. So wie sie aussah, musste sie einem normalen Menschen ziemlich verrückt vorkommen. Wie ein Clown. Dieses Wort kam Kyle sofort in den Sinn. Er hatte das Gefühl, sein freundliches Lächeln könnte sich jeden Moment in lautes Lachen verwandeln. Er vermied es, Dan anzusehen, der zunächst auch überrascht und dann belustigt reagierte. Dan wandte ihm seinen breiten Rücken zu und tat so, als müsste er die Kamera einstellen. Beim geringsten Blickkontakt wären sie garantiert in brüllendes Gelächter ausgebrochen.
Susan White hatte ihren grünen Lidschatten total übertrieben aufgetragen, und da sie so gut wie keine Lippen hatte, wirkte der Lippenstift wie ein aufgemalter grellroter Mund. Unter ihrem wirren grauen Haar war die blasse Kopfhaut deutlich sichtbar. Offenbar hatte sie viel Zeit auf ihr Aussehen verwendet und wirkte in ihrer kuriosen Mischung aus modischem Schick und Flohmarkt-Klamotten ziemlich eigenartig. Nur wer ganz genau hinsah, konnte den Unterschied zwischen den verschiedenen Elementen ihres Outfits erkennen. Das Sonnenlicht, das durch das dichte Laub der Bäume drang, durchlöcherte die Schatten um sie herum mit hellen Flecken und ließ ihr amethystfarbenes Kleid gescheckt wirken. Ein türkisfarbener Schal, den sie um ihre mageren Schultern geschlungen hatte, komplettierte das Erscheinungsbild.
Eine ganze Weile, so lange, dass es schon peinlich wirkte, starrte Susan White mit triefenden Augen die Fassade des gegenüberliegenden Hauses an, als könnte sie sich nicht davon lösen.
Kyle sagte etwas, um zu
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