Der letzte Tag: Roman (German Edition)
gehabt hatte, als dieser Körper noch ihm gehörte, dieser Körper, in dem er geboren worden war und der um sein Bewusstsein herum gewachsen war. Und sein eigenes Gesicht hatte nie so hasserfüllt und grausam dreingeblickt, so triumphierend, wie es jetzt auf ihn herabsah, während er in einem Stadium völligen Verfalls auf dem Bett lag.
Von Panik erfüllt, zerrte und zappelte er inmitten der dünnen Laken und seines roten Gewands. Versuchte sich aufzurichten. Sah, wie die Gestalt zu seinen Füßen grinste, bevor sie sich abwandte und davonging. Sie ließ ihn zurück wie ein Bündel morscher Äste, das nur künstlich am Leben erhalten werden konnte und nicht mehr viel Zeit auf dieser Welt verbringen würde.
Das wilde, bedrohliche Toben vor der Tür wurde immer heftiger. Was es auch war, es wollte unbedingt reinkommen.
Kyle erwachte im Dunkeln und schrie nach Gottes Hilfe. Starrte mit weit aufgerissenen Augen ins Nichts. Hob den Kopf und bemerkte den Geruch von Schweiß und Zigarettenrauch, Whisky und Hühnchenresten in der Papppackung, der den überhitzten Raum erfüllte.
Er sah nach unten, wo sein Körper sein musste. Er konnte nichts erkennen, aber er spürte, dass er die Bettdecke von sich gestoßen hatte und auf einer billigen Matratze mit einem abgenutzten Laken lag. Sogar nachdem er zweimal geblinzelt hatte, hatte er noch immer den Eindruck, dass sich unterhalb seines Kinns dieser vertrocknete Körper erstreckte, dass seine Brustwarzen schwarz waren, seine Muskeln geschrumpft und sein Brustkorb nur noch aus morschen Knochen bestand. Er spürte die spitzen Ecken seiner Beckenknochen in seinem abgemagerten Unterleib, von dünner Haut bedeckt wie Porzellanscherben unter einem zerschlissenen Taschentuch. Aus seinen Hüften ragten dünne Puppenbeinchen, die bedeckt waren von Geschwüren und schorfigen Wunden. Die erschütternde Erkundung seines verwandelten Körpers gipfelte in der Erkenntnis, dass die Füße, die er zwar nicht sehen, aber fühlen konnte, nicht seine eigenen waren. Auch nicht seine eigenen Zehen. Sie waren länger und dünner und hatten eine falsche Form. Es waren die blassen, leblosen Gebeine von jemand anderem.
Wieder bettelte er um Erlösung, schrie laut auf, dass dies einfach nicht sein dürfe. Das war nicht er . Es konnte doch nicht aus seinem Traum gekommen sein und ihn so verändert haben. Dieses Ding konnte sich doch nicht von irgendwoher eingeschlichen und in sein Bett gelegt haben.
Er richtete sich halb auf und suchte hektisch nach dem herabhängenden Band, mit dem er das Licht einschalten könnte. Doch
die Lampen wollten nicht angehen, obwohl er dreimal daran zog. Er tastete auf dem Nachttisch nach dem Telefon.
Als seine Hand hastig über die Tasten glitt, schaltete sich das Display des Apparats ein und warf einen schwachen Lichtschein auf seinen Körper. Und nun sah er seinen eigenen Brustkorb, seinen Bauch, seine Arme mit den Tattoos und seine eigenen Beine und darunter seine eigenen, wirklich seine eigenen wunderbaren Füße mit dem linken großen Zeh, der einmal gebrochen war und nun schief abstand, die fehlenden Nägel an den kleinen Zehen und die weiße Narbe am rechten Knöchel.
Und als er die Beine anzog und sich aufrichtete, seinen geliebten Körper wieder vollständig wahrnahm und sich gegen das Kopfende des Betts lehnte, merkte er, dass die schaurigen Infusionsschläuche von seinen Handgelenken, Fingern und Unterarmen verschwunden waren. Und er spürte seine eigenen Gliedmaßen und seinen eigenen Körper, der sich unbeholfen, aber seinem Willen gehorchend, bewegte.
Trotzdem stimmte irgendwas nicht. Noch im Schock und desorientiert angesichts dieses grauenhaften Erwachens, wurde ihm das Geräusch bewusst. Ein leises Klopfen gegen die Wand oder gegen eine Tür. Kyle wandte sich der nicht sichtbaren Zimmertür zu, von der das Geräusch auszugehen schien. Das Licht des Displays warf einen schwachen Schein auf jemanden in der Nähe der Tür. Und nicht länger als einen kurzen Moment lang erkannte er undeutlich die Umrisse einer kleinen Gestalt auf dünnen, ungelenken Beinen, bevor sie mit einem lauten Plumps zu Boden fiel und auf allen vieren hocken blieb.
Kyle rutschte über das unordentliche Bett und tastete nach dem Schalter von Max’ Lampe, die neben ihm auf dem Fußboden stand. Er erinnerte sich, dass er sie angelassen hatte, als er einschlief, ebenso die Deckenlampe und die auf dem Nachttisch. Er war in einem hell erleuchteten Zimmer eingeschlafen. Als ihm dies
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