Der letzte Tag: Roman (German Edition)
bewusst wurde, war er mit einem Mal hellwach.
Gleichzeitig erfasste ihn die nackte Angst, und er stöhnte laut auf. Der Tageslichtsimulator von Max weigerte sich anzugehen, als er den Schalter betätigte. Er ließ ihn zu Boden fallen.
Am Fuß seines Betts schnaufte etwas. Es klang feucht und pfeifend. Einen Augenblick, bevor das Display des Telefons erlosch und kurz bevor er seine Beine über den Bettrand schob, um blindlings ins Badezimmer zu flüchten, sah er die schwache Andeutung des schmalen Gesichts eines Eindringlings, der ihn über das unordentliche Bettzeug hinweg ansah. Sein Mund, eher wohl Schlund zu nennen, stand weit offen, als wollte er nach etwas schnappen oder vielleicht auch einfach nur einen Freudenschrei ausstoßen.
Die vagen Umrisse der Möbel und die angedeuteten Schatten der Zimmereinrichtung verschwanden mit dem Licht des Displays. Und wieder war der Raum um ihn herum tiefdunkel, das Licht von draußen wurde von den Motelvorhängen, die müden Reisenden eine ungestörte Nachtruhe verschaffen sollten, völlig gebannt. Er war froh, dass er überhaupt nichts mehr erkennen konnte, aber nur kurz.
Er rannte gegen die Zimmerwand neben der Badezimmertür. Der Aufprall machte ihn benommen. Aber nun kam er endlich wieder vollständig zu Bewusstsein. Er tastete die Wand im Innern des Badezimmers ab, fand die Lichtschnur der Lampe über dem Spiegel und zog daran. Nichts passierte.
Der Eindringling schien sich jetzt irgendwo unterhalb des Bettrahmens zu bewegen. Kyle hatte den Eindruck, dass er kaum in der Lage war, aufrecht zu stehen. Offenbar war er so schwach und seine eigenartig geformten Beine so zerbrechlich, dass das Schaben und Rumpeln in der Dunkelheit, das von ihnen ausging sich anhörte, als wären die Bewegungen schmerzhaft. Ihm fiel die Gestalt ein, die sie im dunklen Haus an der Clarendon Road zufällig gefilmt hatten, die umhergetorkelt war wie eine große, ungelenke Marionette ohne Fäden. Und ihm wurde grässlich
bewusst, dass dieses Ding ganz offensichtlich von einem anderen Ort gekommen war und sich hier materialisiert hatte. Das Kratzen auf Holz war das Geräusch, mit dem es in Erscheinung trat.
Irgendwo im Dunkeln hörte er den Missklang uralter Lungen, die sich abmühten, die Luft einer anderen, neueren Welt einzuatmen. Da sich das Ding aufrecht stehend nur unsicher bewegen konnte, schien es sich jetzt wieder auf alle viere zu hocken, jedenfalls hörte es sich so an. Am Boden war es sicherer, wie ein Tier, das aus einem engen Käfig entkommen ist, und er fragte sich ängstlich, ob es wohl bald in der Lage wäre, sich schneller zu bewegen. Wenn es diesem Ding erst einmal gelang, über den Teppichboden zu huschen, würde es ihn zweifellos bald gefunden haben.
Er war gefangen. Der einzige Weg aus dem Zimmer führte durch die Tür, die auf den Parkplatz hinausging.
Kyle wandte sich um und widerstand dem Drang, ins Badezimmer zu gehen und sich einzuschließen. Diese hölzernen Türen boten offenbar keinen ausreichenden Schutz. Er erinnerte sich an die lumpigen Schädel und die toten Vögel, das fleckige Fleisch und die schmutzigen Fingernägel, deren Spuren in der Haut der Toten zu sehen gewesen waren. Er unterdrückte einen Schrei.
Er tastete sich zurück zum Bett. Falls er überhaupt eine Chance hatte zu entkommen, dann musste er über die Matratze steigen und zur Tür rennen. Vielleicht jetzt gleich in einem Rutsch, solange dieses schwache scharrende Geräusch und dieses Kratzen am Bettkasten noch nicht so vehement war, denn bestimmt würde es bald kräftiger werden. Dort im Dunklen krabbelte etwas herum, das versuchte, sich in dieser Welt zurechtzufinden, das sich danach sehnte, seine Gegenwart zu spüren, damit es sich selbst deutlicher und wärmer und ängstlicher wahrnehmen konnte. Er stellte sich vor, wie es flink wie ein Krebs um das Bett herumflitzte, um nach seinen Fußknöcheln zu schnappen.
So leise und so schnell wie möglich stieg Kyle zurück aufs Bett und hielt dort inne, zuckte aber zusammen, als er die Bettfedern unter seinem Gewicht quietschen hörte. Er spähte ins Dunkel, konnte die Stelle, wo sich die Tür auf der anderen Seite des Zimmers befand, aber nur ahnen.
Ein knochiger Arm schlug gegen den Schrank unterhalb des Fernsehapparats. Als er das dumpfe Pochen von Knochen auf Spanplatte vernahm, schnappte er nach Luft. Am Fuß des Betts, jetzt aber näher am Badezimmer, hörte er ein feuchtes, erregt klingendes Einatmen. Der silbrig graue Kopf über dem
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