Der letzte Tag: Roman (German Edition)
sehnigen Hals, achtete sehr aufmerksam auf seine Bewegungen. Offenbar war es genauso blind wie er, aber es konnte ihn hören.
Vorsichtig griff er nach dem Buch von Levine, das auf dem Nachttisch lag, und warf es Richtung Badezimmer. Als Reaktion darauf wurde alles, was auf dem Schränkchen lag, heruntergeworfen. Sein Laptop, die Ordner und die Bücher flogen auf den Boden. Das Ding war jetzt wütend und stapfte ungelenk herum wie ein neugeborenes Fohlen, aber es wurde immer stärker.
Er rannte über die Matratze, und es fühlte sich an, als spränge er auf den Beinen eines anderen über ein Trampolin. Orientierungslos taumelte er durch die Dunkelheit, und die Welt unter ihm wackelte und wippte hin und her wie ein Boot auf dem Wasser.
Hinter sich hörte er das Ding quieken. Es bewegte sich jetzt viel schneller über den Boden. Eben noch war es beim Schrank am Fuß des Bettes gewesen, aber nun huschte es in der Nähe der Badezimmertür herum, dort, wo er das Buch hingeworfen und kurz zuvor noch gehockt hatte. Knochige Finger kratzten über die Wand. Packten die Lampe. Zerschmetterten die Glühbirne.
Heftige Schmerzen schossen durch seine Gelenke und Knie, als Kyle auf der anderen Seite des Bettes am Boden aufkam. Er richtete sich auf und bewegte sich auf die Wand zu, in der irgendwo die Tür verborgen war. Tastete sich leise dort entlang, bis
er den hölzernen Türrahmen spürte und den Geruch nach vermodertem Fleisch wahrnahm, der von ihm ausging.
Er fasste nach dem Türknauf. Der Eindringling hinter ihm fauchte im Dunkel. Das Ding war jetzt aufs Bett gekrochen und schien lebhafter zu werden. Es hüpfte über die Matratze. Decken wurden hin und her gerissen, als der ungebetene Gast sich mit seinen scharfen, spitzen Klauen dort einkrallte, in der Hoffnung, dass er sich endlich anbot, bei dem blutigen Spiel mitzumachen. So kratzte es auf dem Bett herum und stellte sich sehnsüchtig vor, es würde bereits passieren.
Er schürfte sich die Haut an den Knöcheln auf, so heftig drückte er den Riegel beiseite. Dann stieß er die Tür auf und stürzte nach draußen, machte eine halbe Drehung und taumelte rückwärts auf den kalten Zement des Wegs zum Parkplatz.
Unwillkürlich warf er einen letzten Blick in sein Zimmer, was er wohl besser nicht getan hätte, denn dort sah er noch einmal den grässlichen Eindringling vor sich. In dem gelblichen Licht, das die Straßenlaternen in den Raum warfen, sah das Ding gleichermaßen feucht und unnatürlich dünn aus. Duckte sich in die Matratze, den Kopf so tief gesenkt, dass er nicht zu erkennen war. Der Körper ruckte hin und her, die Arme nach vorn gestreckt. Die Füße bewegten sich so eifrig, als versuchten sie, das gesamte Bett auszuweiden. Und in diesem Moment erfuhr er mehr über die mysteriöse Mordwaffe, von der Detective Sweeney gesprochen hatte, als die gesamte Kriminalpolizei von Phoenix jemals herausgefunden hatte.
Seine Knie wurden weich. Er warf die Tür hinter sich zu.
Heftig zitternd und nur mit Boxershorts und T-Shirt bekleidet, verbrachte Kyle die letzten zwei Stunden der Nacht eingekeilt zwischen dem Cola-Automaten und der Eismaschine am Ende des länglichen Betonblocks, in dem die Motelzimmer nebeneinanderlagen. Da er keine Autoschlüssel bei sich trug, hockte
er auf dem Boden, mit dem Rücken zur Wand aus Waschbeton, und deckte sich mit kaputten Pappkartons zu, die er aus dem Container hinter der Rezeption geholt hatte.
Während die Sonne knallrot über dem angrenzenden Highway aufging, nickte er ständig ein und schrak wenig später wieder auf. Er glaubte, die Kälte würde ihn umbringen, aber hier draußen kam es ihm immer noch angenehmer vor als in seinem Zimmer bei dem Ding mit den Klauenhänden und den spitzen Krallen, die minutenlang an seinen Vorhängen gerissen und an seiner Tür gekratzt hatten, bevor er schließlich vor dem jaulenden und knurrenden Ding geflüchtet war.
Kyle horchte auf das kehlige Grollen und zitterte dabei so heftig, dass er kaum noch in der Lage war, regelmäßig zu atmen. Als der Lärm plötzlich aufhörte, stellte er sich vor, wie es irgendwo im Dunkeln auf ihn lauerte.
Dan wach zu kriegen war unmöglich gewesen. Da er Angst gehabt hatte, den Nachtportier oder die anderen Gäste zu wecken, hatte er nur halblaut gerufen und vorsichtig an die Zimmertür seines Freundes geklopft. Aber Dan hatte die Angewohnheit mit den iPhone-Hörern im Ohr einzuschlafen, während die Musik einfach weiterlief. Und so laut wie er
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