Der letzte Tag: Roman (German Edition)
Spenden hinbrachten. Jeden Tag um sechs Uhr!«
Nachdem sie erst mal ihre anfängliche Aufregung überwunden hatte, musste Kyle immer wieder neben sie treten, damit sie sich zügelte und ihre Erzählung auf die verschiedenen Räume aufteilte. Sie gingen ein Zimmer nach dem anderen ab, und in jedem erklärte Susan, wie es dort früher ausgesehen hatte. Er würde dann später Originalmaterial aus der Londoner Zeit der Sekte dazwischenschneiden. Sie würden die Belichtung bestimmen und den Ton aussteuern und jeden Teil des Gebäudes aus verschiedenen Winkeln mit zwei Kameras filmen. Bei all seinen Filmen hatte er stets während der Aufnahmen schon begonnen, den Schnitt zu planen.
Der Nachteil war, dass es nicht viele Varianten für die Hintergründe während Susans Monolog gab. Es wäre besser gewesen, die Zimmer hätten eine Einrichtung gehabt, aber so blieb ihnen nichts weiter übrig, als mit dem Licht herumzuspielen. Es gab einen vorderen Raum, von dem aus man einen guten Blick auf die Straße mit den vornehmen Fassaden werfen konnte, ein hinteres Zimmer, von dem aus man den üppigen grünen Garten einsah, ein kleineres Schlafzimmer und dann noch die düsteren Steinstufen vor der Eingangstür. Die beiden oberen Stockwerke waren genauso angeordnet wie das Erdgeschoss, außerdem gab es noch einen Keller, wie Max in seinen Notizen vermerkt hatte. Die gesamte obere Etage war Schwester Katherines Wohnung gewesen. Dort würden sie am Schluss Aufnahmen machen.
Im hinteren Zimmer war das Sonnenlicht nicht so stark. Kyle fragte Dan nach den Lampen. »Ich werde ein weiches Licht auf die Wände werfen. Mit einem Reflektor arbeiten. Vielleicht noch eine Leuchte für den Hintergrund. Ein Streiflicht. Um ein bisschen Atmosphäre zu erzeugen.«
Aus Erfahrung wussten sie, dass man das Licht immer anpassen musste, egal an welchem Ort oder zu welcher Tageszeit man drehte. Er wusste genau, was die meisten seiner Kollegen hier tun würden: Sie würden ein Licht auf Susans bleiches Gesicht richten, damit es sich von den weißen Wänden abhob.
»Das Führungslicht kann von der Seite auf ihr Gesicht fallen. Das bringt mehr Tiefe rein und macht ihren Charakter plastischer.« Dan grinste.
»Gute Idee. Wir könnten sogar ein paar Softtubes benutzen.« Und flüsternd fügte er hinzu: »Dann können wir ein bisschen Roger-Corman-Stil mit reinbringen.«
Dan ging los, um die Sachen zu holen, und Kyle schaute durch den Sucher der zweiten Kamera, einer Panasonic HVX 200, bis Dan ihn aus dem hinteren Bereich des Gebäudes zu sich rief.
Susan stand in der Mitte des Zimmers direkt gegenüber der Küche auf dem nackten Fußboden. Ihre Hände mit den lackierten Fingernägeln gegen die Wangen gepresst, starrte sie zur Decke.
Jetzt geht’s los. Doch ihre Körperhaltung und ihr Gesichtsausdruck machten ihm rasch klar, dass sie keine Show abzog.
»Hier drin. Hier begann die Entsagung.«
Dan trat neben sie, um das Licht zu prüfen.
»Vielleicht sollten wir dann hier drin anfangen, Susan?«, bot Kyle an. »Mit der Entsagung?« Er kniete sich hin, legte die Kabel auseinander und packte die Tonausrüstung aus.
Susan holte ein Papiertuch aus ihrer Handtasche, schniefte und tupfte sich auf beiden Seiten die Nase ab. »Hier drin habe ich so viel von mir preisgegeben. So viel. Und ich habe mich immer gefragt, ob es wirklich richtig war.«
»Um was ging es denn bei dieser Entsagung?«
Susan hob die Hände über den Kopf, als hätte sie Kyles Frage gar nicht vernommen. Er fragte sich immer noch, ob sie sich wegen der Kamera so aufführte, oder ob sie womöglich schon so durchgeknallt war, dass ihr gar nicht mehr auffiel, was für einen schrägen Eindruck sie auf dem Bildschirm machen würde. »Sie hat bei allem den Vorsitz geführt. Bei jeder Sitzung. Hat zugehört. Hat immer zugehört. Hat uns beurteilt. Hat unser Wissen gesammelt. Alles, was sie gebrauchen konnte. Später. Hat es gegen uns verwendet. Ich habe ihr das nie vergeben. Ich wusste, dass es ein schlimmes Ende mit ihr nehmen würde.«
Kyle schaute auf. »Warum sagen Sie das?«
Susan lachte vor sich hin, als wären er und Dan gar nicht da. Schniefte und tupfte sich mit dem Papiertuch die Augenwinkel ab. »Wir haben ihr alles gegeben. Alles aufgegeben, damit wir ein Teil davon werden können. Unsere Familien, unsere Arbeit. Wissen Sie, manche haben sogar ihre Ehemänner verlassen. Und ihre Kinder. Ihre armen kleinen Kinder.«
»Was hat denn in diesem Zimmer
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