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Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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gehabt hatte, stellte Dan die Kamera wieder auf das Stativ.
    »Es tut mir leid«, flüsterte sie. Der Puder auf ihrem Gesicht sah aus, als wollte er jeden Moment in dicken Flocken abfallen.
    »Haben Sie etwas zu trinken?« Kyle warf Dan einen Blick zu und formte mit den Lippen das Wort »schnell«.
    »Bitte.« Susan setzte sich auf die oberste der sieben Stufen, die zu dem steinernen Portal hinaufführten. Sie sah aus, als wäre sie in ihrem Kleid versunken, das nun unheimlicherweise über ihren kleinen Füßen zu schweben schien. Ihr Rücken krümmte sich wie eine Sichel, als litte sie unter einer Missbildung.
    Kyle schraubte eine Wasserflasche auf. Sie setzte sie an ihre welken Lippen und trank mit gierigen Schlucken. Dann schnaufte sie laut und gab ihm die Flasche zurück. Der obere Rand war mit rotem Lippenstift verschmiert, und er wusste sofort, dass er nie mehr daraus trinken würde. »Sie sind sehr nett, vielen Dank«, sagte Susan und riss ihn damit aus seinen unangenehmen Gedanken. Schlagartig hatte er Schuldgefühle. Das war doch nur eine alte, verängstigte Frau. »Sie müssen verstehen … Aber wie sollten Sie auch? Wie dumm von mir.«
    »Kommen Sie erst mal wieder zu Atem. Beruhigen Sie sich. Und dann …«
    Sie fasste wieder nach seiner Hand und schaute zu ihm auf. Ihre Augen leuchteten vor Angst, echter Angst, ihm war klar, dass sie ernsthaft beunruhigt war. »Was hier passiert ist, was hier seinen Anfang nahm, das war schrecklich. Es sind nur noch wenige
von uns übrig …« Sie zitterte heftig inmitten ihres eingefallenen Kleids.
    »Geht es Ihnen gut? Brauchen Sie einen Arzt?« Kyle spürte, wie ihm ein Schauer den Rücken herunterlief, als er daran dachte, dass sie womöglich Erste Hilfe leisten mussten. Ihre Andeutungen über das »böse« Haus jedoch ließen ihn total kalt. Er versuchte, sich zu erinnern, wie man jemanden wiederbelebte. Aber er wusste nur noch ganz vage, dass man den Kopf nach hinten kippen und mit der Hand den Mund verschließen musste. Jetzt war er an der Reihe zu zittern.
    »Ich dachte, es würde mir nichts anhaben. Ich habe Max gesagt, dass es bestimmt gehen würde. Ich wollte ihn nicht enttäuschen. Er hat mir doch die Fahrkarten für die Eisenbahn geschickt und all das.«
    Kyle warf einen Blick zu Dan, der ihn unter seinen unglaublich dicken Augenbrauen ratlos ansah.
    »Wenn Sie das hier zu sehr aufregt«, schlug Kyle vor, »können wir uns auch woanders unterhalten.«
    Susan schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Wieso bin ich denn überhaupt so aufgebracht!« Und ruhiger fügte sie hinzu: »Dazu ist es doch längst zu spät.«
    Eine Frau in engen Jeans und mit hohen Absätzen blieb neben Dan stehen. Kyle hörte, wie er sagte: »Es geht schon. Ihr ist nur ein bisschen übel geworden.« Die Frau nickte und verzog ihr hübsches Gesicht zu einem fragenden Lächeln. Dann ging sie weiter, mit klackernden Absätzen, und verlor sich im Sonnenlicht.
    »Susan.« Kyle hielt ihre Hand. »Ist alles in Ordnung?«
    »Ich komme mir so dumm vor«, flüsterte sie.
    »Aber nein. Wir sind Ihnen sehr dankbar, dass Sie sich die Mühe gemacht haben herzukommen. Sind Sie sicher, dass Sie das durchstehen?«
    Sie nickte. »Die Menschen sollen es wissen. Es ist wichtig. Max hat recht.« Sie hob energisch den Kopf und versuchte aufzustehen.
Kyle half ihr auf die Beine. »Dort drinnen ist noch so viel von mir. Ich wollte herausfinden, ob ich es zurückbekomme. Deshalb bin ich hier.«
     
    »Da sind jetzt Wohnungen drin. Aber wir hatten damals das ganze Haus für uns. Bis unters Dach.« Susan White war erstaunlicherweise wieder zu Kräften gekommen. Als sie durch das Gebäude gingen, flatterte sie durch die Räume im Erdgeschoss wie ein Vogel, der versucht, seinen Verfolgern zu entkommen.
    Alle drei Luxuswohnungen, in die man das Gebäude aufgeteilt hatte, standen nach einer kürzlich erfolgten Renovierung leer. Grelles Sonnenlicht drang durch die großen Fensterflügel und wärmte die drei kahlen Zimmer und die Küche im Erdgeschoss, vergoldete die Parkettfußböden und versilberte die nackten Wände. Der Geruch frischer Farbe ging von den Wänden, den Fußleisten und den vertäfelten hohen Decken aus. Alle Räume waren weitläufig und makellos glatt, bis auf die dekorativen Versenkungen für die Lampen, von denen einige nackte Birnen an Kabeln herunterhingen.
    »Hier drin habe ich unsere Zeitschrift gedruckt. Sie hieß Gospel . Wir haben sie in ganz London verkauft! Hier war das Büro, wo wir die

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