Der letzte Tag: Roman (German Edition)
leider …
»Hast du Martha gesehen? Als sie ging? Hast du’s gefilmt?«
»Wie bitte?«
Gonal schien einen Moment lang verwirrt, dann lächelte er triumphierend. »Das hast du noch nicht mitbekommen, hm? Weil du ja im Flugzeug warst.«
»Was denn?«
»Sie ist weg. Tot. Ich hab’s heute Morgen im Internet gesehen.«
Kyle ließ sich auf das von Unrat übersäte Sofa fallen und starrte auf die Zeitungsseiten mit dem Fernsehprogramm der vergangenen Woche, die an der Wand klebten.
»Vorsicht! Da liegen irgendwo meine Rohschnitte.«
Kyle warf einen Blick hinter sich. »Entschuldigung.«
»Sieh mal hier.« Gonal eilte durchs Zimmer, dorthin, wo sein Laptop vor dem Fenster stand. Kurz darauf erschien die Wikipedia-Seite von Kyle auf dem Bildschirm. Gonal hatte also Nachforschungen über ihn angestellt, wahrscheinlich gleich nachdem er Kyles Nachrichten auf der Mailbox gehört hatte. Aber jetzt schloss er die Seite, und es war ein Bild von ihm selbst zu sehen, wie er einen Arm um den ehemaligen Fußballprofi Trevor Brooking legte, auf dem Spielfeld im Upton Park. »Es hat WLAN. Das Signal kommt von den Nachbarn. Ich kann den Laptop aber nur ein paar Minuten benutzen, weil der Akku sonst bald leer ist. Ich hab ihn in der Bibliothek aufgeladen. Mein Handy auch.« Er warf Kyle einen Blick zu. »Hier funktioniert überhaupt nichts mehr. Der bescheuerte Hausbesitzer repariert nichts. Behauptet, die Hausbesetzer im Erdgeschoss seien schuld. Er hat keine Ahnung, was hier abgeht.« Er wandte sich wieder seinem Computer zu, machte das Menü mit seinen Favoriten auf und klickte auf das letzte Symbol.
Entsetzt starrte Kyle weiter an die Wand über dem Kamin, auf die Überschriften der Nachrichten von letzter Woche und
Anzeigen für irgendwelche ausklappbaren Doppelbetten. Martha war tot. War es Selbstmord? Hat sie für sich den gleichen Weg gewählt wie Bridgette Clover? Er versuchte zu schlucken, aber sein Mund war so trocken und das Panikgefühl in seinem Hals so drängend, dass es ihm nicht gelang. Martha hatte die ganze Zeit, als er bei ihr war, ihr bevorstehendes Ende vor Augen gehabt. Hast sie gerade noch im letzten Moment erwischt , sagte eine Stimme, die der von Malcolm Gonal sehr ähnlich war, in seinem Kopf immer wieder, bis er sie daraus verbannte. Vielleicht hat das Interview ihr ja endgültig den Rest gegeben?
»Hier. Sieh mal. Schau hin!«
Kyle ging auf weichen Knien zu Gonal, der sich über seinen Laptop beugte. Kyle war kaum in der Lage, das Bild auf dem Monitor zu fixieren, eigentlich konnte er überhaupt nichts mehr um sich herum erkennen. Bis sein Auge an einem Schwarz-Weiß-Pressefoto hängen blieb, auf dem Martha Lake zu sehen war, wie sie am Phoenix Airport über das Flugfeld schritt. Darüber war die Überschrift zu lesen: DAS ENDE DES OPFERS DER WÜSTENSEKTE. Es war die Homepage der Lokalzeitung Seattle Bugle .
»Wurde von einem Einbrecher zerfleischt, heißt es. Bis zur Unkenntlichkeit. Es wurden Schüsse abgefeuert, steht da. Schüsse! Verstehst du? Auf sie natürlich, bevor sie sich auf sie stürzten. Die Schnitte stammen nicht von Messern, das wissen wir ja. Ich wusste, dass sie tief in der Scheiße steckt, als ich sie drüben getroffen habe, aber das ist jetzt auch egal. Sie hätte sich köpfen sollen. Das Hirn rausballern. Wie die andere. Bridgette. Damit sie nicht reinkönnen. Verstehst du?«
Kyle war völlig verstört. Er und Dan waren wahrscheinlich die letzten Menschen, die sie lebendig gesehen hatten. Und das Interview mit ihr? Würde die Polizei es konfiszieren? Sofort kam er sich schäbig vor, weil er so eigennützig gedacht hatte. Er wandte sich an Gonal.
»Max hat uns beide benutzt.«
»Was du nicht sagst.«
»Warst du in der Clarendon Road? Auf dem Hof in der Normandie?«
»Nee, das Haus am Holland Park hab ich nur von außen gesehen. Max hatte keine Dreherlaubnis für innen bekommen. In Frankreich war ich auch nicht. Das sollte danach kommen. Vorher hab ich Martha in Seattle besucht. Und die Mine mit einem Medium …«
»Mit einem Medium? Was wolltest du denn damit bezwecken, Malcolm? Eine Séance veranstalten?«
»Hab’s versucht. Max wollte, dass ich da mit einem Bullen rausfahre. So ein alter Knabe, der mal Polizist war. Aber nachdem ich mit Martha gesprochen hatte, wollte ich ein Stück mit ein bisschen mehr Saft, was Lebendigeres. Dafür ist so ein Medium nicht schlecht. Wenn man so was nicht hat, schafft man es sowieso nicht ins Fernsehen.«
»Und hast du was
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