Der letzte Tag: Roman (German Edition)
Kamera plapperte. Die Dokumentation könnte er dann unter dem Titel Der Taximann im Eigenvertrieb herausbringen. Er sollte sich damit beeilen, sonst würde Morgan Spurlock ihm womöglich zuvorkommen. Vielleicht war es ja die einzige Möglichkeit, der totalen Vereinnahmung seiner Gedanken zu entgehen, indem er an der frischen Luft blieb oder in Menschenmengen wie am Flughafen oder auf dem Rücksitz eines Taxis. Für immer. Mit Wasserflaschen, Tankstellenessen und Flughafenkaffee ausgestattet. Ab und zu würde er ein Nickerchen machen, aber immer in Bewegung bleiben und im Licht. Sie hassen das Licht! In seinem Kopf hörte er immer noch Gonals kreischende Stimme.
Der kurze Schlaf im Taxi war tatsächlich sehr tief gewesen, aber leider nicht traumlos. Irgendwann waren ihm knochige
Wesen in einem rötlichen Licht vor einem schwarzen Nichts erschienen, und er war für ein oder zwei Sekunden aus dem Schlaf geschreckt und hatte bemerkt, dass ihm der Sabber übers Kinn lief. Er war viel zu müde, um gegen den Schlaf anzukämpfen, und war wieder eingenickt. Daraufhin tauchte Malcolm Gonal in seinem Kopf auf, als Teil seines Traums. Er trug eine hölzerne Krone und befand sich in einem dunklen Gebäude. Er hing ein kleines Stück in der Luft, zappelte mit den Füßen herum und grinste, als würde er etwas unglaublich Tolles tun. Auch Martha war da. Sie schaute nach oben in den grauen Himmel über der Mine und rauchte eine Zigarette, während sie darauf wartete, dass irgendetwas auftauchte. Er war froh, dass er sich an den Rest nicht erinnern konnte. Der Schlaf hatte ihn tatsächlich erfrischt. Zwar schmerzten seine Augen noch und sein Nacken war steif, aber seine Gedanken waren wieder lebendiger.
»Tschüss.« Das Taxi fuhr weg und ließ ihn allein in der Kälte stehen, am Rand einer kaum beleuchteten Straße.
In Gabriels Wohnung brannte Licht. Kyle klingelte. Eine riesige Afrikanerin kam zur Tür und sprach mit ihm, ohne die Sicherungskette zu lösen. »Es ist schon spät. Was wollen Sie denn?«
Kyle erklärte, er sei ein Freund von Bruder Gabriel. Sie hatte keine Ahnung, wer Bruder Gabriel war. War er etwa ausgezogen? Lebte er überhaupt noch? Kyle stand stumm und verdutzt da, aber dann, als die Frau schon die Tür zuschob, hörte er Gabriels dünne Stimme von weit hinten rufen: »Wer ist es denn?«
»Gabriel? Hier ist Kyle!«, rief er an der Afrikanerin vorbei. »Es ist wichtig!«
»Arthur, wer ist dieser Gabriel?«, schrie die Frau über ihre Schulter hinweg in die orangerot erleuchtete Wohnung.
Es gab eine kurze Pause, dann kam die Antwort: »Lass ihn rein!«
Bruder Gabriel benutzte wieder seinen ursprünglichen Namen Arthur Smith. Die Frau war seine Pflegerin. Vielleicht auch die seiner Mutter. Sie beide brauchten jemanden, der sich um sie kümmerte. Sie wurde von Max bezahlt.
Das, was von Bruder Gabriel noch übrig war, lag in einem abgenutzten Sessel vor dem Kamin, in dem ein Gasfeuerchen glimmte. Glücklicherweise wurde der Stumpf seines linken Beins von einer karierten Wolldecke bedeckt. Während der Dreharbeiten in Frankreich hatte Kyle sich immer wieder gewundert, wie dünn Gabriel gewesen war. Aber im Vergleich zu dieser Ansammlung dünner Puppengliedmaßen hatte er damals vor Gesundheit geradezu gestrotzt. Der Sessel wirkte viermal zu groß für ihn. Seine Haut war grau, seine Augen waren tief eingesunken und glänzten fiebrig, aus den Mundwinkeln troff der Speichel. Er schaute Kyle apathisch an, wie ein Sterbenskranker, der starke Schmerzmittel bekommt. Im Zimmer roch es wie in einem Krankenhaus. Auf dem Tisch neben dem Sessel lagen zahlreiche Medikamentenschachteln und eine aufgerissene Packung mit Wasserflaschen. Vor der Wand stand ein zusammengeklappter Rollstuhl, auf dem Sofa lagen zwei Krücken. Ihn zu fragen, wie es ihm ging, war eindeutig überflüssig.
»Es ist mir alles egal«, flüsterte er, bevor Kyle sich dafür entschuldigen konnte, dass er ihn nicht im Krankenhaus besucht hatte.
»Hm?«
»Der Film. Alles.«
Kyle nickte, versuchte aufmunternd zu lächeln, aber es gelang ihm nicht. »Tut mir leid. Aber da ist einiges außer Kontrolle geraten. Ich musste herkommen. Ich brauche Ihre Hilfe.«
Bruder Gabriel hob seine Hand, die fast nur noch aus Knochen bestand und ließ sie wieder herabfallen. Die Hoffnungslosigkeit dieser Geste schien die Situation perfekt zu beschreiben.
»Wir sind alle in großen Schwierigkeiten. Alle, die Max für
seine Zwecke benutzt hat. Und ich will
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