Der letzte Tag: Roman (German Edition)
grellroten, sensationslüstern aufgemachten True-Crime-Büchern gesehen, im Buchladen am Flughafen, zwischen irgendwelchen Machwerken zum Thema Fußball-Hooligans. Das war gefährliches Terrain. Natürlich konnte Gonal bluffen, aber Headcase Stratham gehörte zu genau der Art von krankhaften Psychopathen, mit denen Gonal sich abgab. Sie kannten sich. Gonal hatte eine grauenhafte Doku produziert, in der Stratham als Held dargestellt wurde. Sie war als Gratis-DVD mit einer Boulevardzeitung verteilt worden.
Zu Kyles völliger Erschöpfung kam noch Übelkeit hinzu. Er musste jetzt nachdenken, schnell zu einem Ergebnis kommen, aber seine Gedanken flossen träge und ziellos dahin.
»Ich kann dich nicht mehr hören!«, brüllte Gonal durch den Lautsprecher. »He, du Arschloch!« Er hörte nicht auf mit den Beschimpfungen. Jemanden mit Obszönitäten zu überhäufen und zu bedrohen, schien ihm Spaß zu machen. Zumal er Verbindungen zu Kreisen hatte, in denen entfesselte Gewaltorgien an der Tagesordnung waren. Selbst wenn er nur unterschwellig gedroht hätte, musste man schon ein Dummkopf sein, um es zu ignorieren.
Aber wenn Kyle sein eigenes Spiegelbild auf der verkratzten Klingelanlage hätte sehen können, hätte er das bösartigste Grinsen bemerkt, das er je in seinem Leben aufgesetzt hatte. »Es ist
mir egal, womit du mir drohst, Kumpel, du kannst mir überhaupt keine Angst machen. Ich habe nämlich viel ernstere Probleme. Im Vergleich dazu ist der Verlust einer Nase ein Scherz. Und ich schätze, du weißt ganz genau, wovon ich rede. Schwester Katherine hat nämlich viel mehr ›alte Freunde‹, als du dir vorstellen kannst, Malcolm. Und die sind nicht sehr erfreut darüber, dass wir in ihrem uralten Dreck herumgestochert haben. Ich würde mal sagen, dass es absolut nicht der Zeitpunkt ist, einen Kollegen zu beschimpfen, der in genau der gleichen tiefen Scheiße steckt wie du. Soweit ich weiß, bist du die ganze Zeit verzweifelt damit beschäftigt, deine dreckigen Wände weiß zu streichen, und machst dir dabei in die Hosen.«
Die verzerrte Stimme im Lautsprecher verstummte. Kyle grinste vor sich hin. Nach einigen Sekunden ertönte der Summer.
Kyle schob die Tür auf und betrat das düstere Haus.
Malcolm Gonal war betrunken. Malcolm Gonal war völlig verängstigt. Malcolm Gonal war verrückt. Jeder konnte das auf den ersten Blick sehen.
Außerdem hatte er sich von der Welt abgeschottet. Schwarze Plastiksäcke und dünne grüne Tragetaschen von dem Gemüseladen um die Ecke, vollgepackt mit Müll, türmten sich vor den Wänden im Flur, in dem kaum genug Platz war, um die Tür aufzuschieben. Kyle starrte den Müll an. »Wird gestreikt?«
Gonal sah aus wie ein kahl rasierter Maulwurf, der mithilfe von Stereoiden von einem wahnsinnigen osteuropäischen Arzt zu menschlicher Größe aufgepumpt worden war. Sein glatter Schädel hatte die Farbe von Fensterkitt angenommen, am Kinn klebte etwas, das vielleicht ein Essensrest von gestern war. Das aufgedunsene Gesicht war übersät mit Ekzemen. Seine wässrigen Augen, die keine eindeutige Farbe hatten, schauten durch eckige Brillengläser, die irgendwann einmal schick gewesen sein mussten. Aber die Tage, als er im Armanianzug in Talkshows gesessen
und mit tiefer Stimme über Fußball-Hooligans schwadroniert hatte, waren lange vorbei. Malcolm Gonal trug einen Kilt, ein zerknittertes Rüschenhemd, das eigentlich unter einen Frack gehört hätte, und einen Bademantel, den er in einem Hotel hatte mitgehen lassen. Seine Füße steckten in Socken mit aufgedruckten Comicfiguren.
Sein rundes Gesicht näherte sich so hastig, dass Kyle einen Schritt zurücktaumelte. »Lach nicht, du Arsch, lach mich nicht aus. Das sind die einzigen Klamotten, die noch sauber sind.«
Nicht mal das waren sie. Der Bademantel war so verdreckt, dass nur ein völlig verzweifelter Penner sich getraut hätte, in diesem stinkenden Lumpen im Park herumzulaufen. Dieser Mann hatte offensichtlich seine ganzen Sachen bis auf den letzten Fetzen abgetragen. Die Reste lagen in einem Haufen auf dem Linoleumboden in der verschmutzten Küche, an der sie vorbeiliefen, als sie auf eine Tür am Ende des Flurs zugingen. Obwohl sie geschlossen war, drang das grelle Licht, das in dem Raum dahinter eingeschaltet war, durch die Ritzen an den Seiten und den Spalt darunter. Die Tür war aus rohem Holz und sah aus, als hätte jemand sie nach einer wilden Hausbesetzer-Party notdürftig repariert.
»Hat die Drogentussi im
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