Der letzte Tag: Roman (German Edition)
Leben gekommen war. Er stand kurz vor einem hysterischen Anfall. Er musste unbedingt damit aufhören. Er musste unbedingt mit Max darüber reden, denn es gab sicherlich eine Möglichkeit, Dan von dort zurückzuholen, wo er sich jetzt befand. Bestimmt. Wirklich? Es musste einfach so sein!
Sein Schock wurde jetzt von einem Wutanfall überlagert. Und der drängte ihn dazu, wieder zu Max zu fahren. Seine Wut auf ihn erreichte ungeahnte Höhen, weil Max nicht an sein Telefon ging. Er wünschte, das Taxi würde ihn viel schneller dorthin bringen, als es möglich war. Es würde ihr letztes Treffen sein, bevor Kyle die Polizei einschaltete. Oder er würde Maximillian Solomon eigenhändig umbringen. Immer wieder stellte er sich vor, wie er diesem Schwätzer die Kehle zudrückte und wie der ihn völlig überrascht anstarrte, während sein Gesicht rot anlief.
Aber nachdem er an dem Portier vorbeigestürmt und die Treppenstufen zu Max’ Wohnung hinaufgestiegen war, stellte er
verwundert fest, dass die Tür offen stand. Max hatte seine Gemütsverfassung und seine Intentionen vorausgesehen und war bereits darauf vorbereitet, ihm die Luft aus den Segeln zu nehmen. Das ist ja nichts Neues . Allerdings war der einst so makellos frisierte Millionär inzwischen derangierter, als Kyle es sich jemals vorgestellt hatte.
Die Pyjamahosen des Filmproduzenten waren mit Blut bespritzt. Seine Hausjacke war mit langen Schmutzschlieren überzogen, die an die Farbe von Jod erinnerten. Es sah aus, als hätten schmutzige, feuchte Hände darüber gewischt. Ein Geruch nach Medikamenten hing in der Luft. Er ging von Max selbst aus, der auf einmal abgemagert wirkte, als hätte er die Hälfte seines Gewichts verloren und könnte nicht mehr aufrecht stehen.
Kyle kam der Gedanke, Iris könnte ihm vielleicht etwas Verdorbenes zum Abendessen serviert haben und war anschließend nach einer heftigen Auseinandersetzung von ihrem Arbeitgeber blutig zur Rechenschaft gezogen worden. Ganz kurz verspürte er das Bedürfnis, über diesen vollkommen idiotischen Gedanken zu lachen. Als dieser Anflug von Albernheit vergangen war, wäre er gern festgehalten und betäubt worden. Niemals hätte er gedacht, dass man sich gleichzeitig so zittrig und aufgelöst fühlen kann. Die Tragödie weitete sich immer mehr aus.
Der Anblick von Max’ Kopf entsetzte ihn am meisten und bremste seinen Drang, den Produzenten hart ranzunehmen und ein Schuldeingeständnis aus ihm herauszuprügeln. Er sah nämlich aus, als hätte jemand das schon versucht und zwar gerade eben erst. Eine Seite seines Kopfes war ein einziges Gewirr von Kratzern. Von den Wangen bis zu seinen implantierten Haaren erstreckten sich tiefrote Striemen, aus denen chirurgisches Garn herausragte. Der Augapfel auf dieser Seite war blutrot. Ein Ohr wurde von mit Klebeband befestigtem Mulltuch verdeckt.
Kyle starrte ihn mit offenem Mund an. Beinahe wäre ihm der Speichel herausgetropft. »Was …«
Max trat zur Seite. »Schnell! Wir haben nicht viel Zeit.«
Aber Kyle stand stumm und verwirrt da und starrte den malträtierten Kopf seines Gegenübers an. Max funkelte ihn böse an. »Würden Sie jetzt bitte eintreten! Wo sind Sie denn die ganze Zeit gewesen? Ich warte hier schon seit Stunden auf Sie. Ihr Flugzeug ist doch schon um achtzehn Uhr dreißig gelandet!«
»Sie hätten ja mal ans Telefon gehen können.«
»Ging nicht … es ist in diesem Zimmer. Verloren.«
»Was für ein Zimmer?«
Max drehte sich auf seinen Hausschuhen um und humpelte zur Wand, um sich abzustützen, weil er sonst umgefallen wäre. In der anderen Hand hielt er den silbernen Griff eines Gehstocks, den er über den Marmorboden zog.
Kyles Schrecken wurde noch intensiver. Die Lichter im Flur waren aus. Seit den frühen Morgenstunden waren neue Schlösser an einigen weiteren Türen angebracht worden. Auch Max’ Schlafzimmer war jetzt offenbar unbenutzbar, ebenso die Küche. Nur zwei Zimmer standen noch offen: das Badezimmer und das Büro.
Am Ende des Flurs summte und vibrierte eine schwarze Maschine von den Ausmaßen eines Automotors vor sich hin. An der einen Seite war der Aufdruck Pro4000E zu lesen. Ein Generator, aus dem ein Gewirr aus roten Kabeln durch die Tür ins Büro verlief. Ein Mischpult, das man eher bei einem Open-Air-Festival vermutet hätte, versorgte ein Dutzend Tageslichtscheinwerfer mit Strom, die auf kleinen Stativen standen und zur Zimmerdecke gerichtet waren.
»Wie …?«
Max, der sich ganz langsam Richtung Büro
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