Der letzte Tag: Roman (German Edition)
bewegt hatte, hielt inne. Er war mehr vorangekrochen als gegangen. Er schaute zu Kyle auf und wirkte wie ein völlig verängstigtes Kind. »Sie sind gekommen. Kurz nachdem Sie zum Flughafen aufgebrochen sind. Ich hätte beinahe mein Ohr verloren.«
»Um Gottes willen.«
»Ich hörte, wie eins sich im Hohlraum in der Decke zu schaffen machte. Es hat die verdammten Kabel erwischt. Nach dem ersten Mal hatte ich sie austauschen und …« Max zuckte zusammen, als hätte er irgendwo einen heftigen Schmerz verspürt.
»… und durch stärkere Kabel ersetzen lassen. Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sie das Licht wieder aus hatten. Die Kabel, die sie nicht durchbeißen konnten, rissen sie aus dem Hauptverteiler. Der ganze Hausflügel lag im Dunkeln, als ich aufwachte.« Max sah Kyle an und versuchte zu lächeln, aber es kam nicht mehr als ein verstörtes Grinsen dabei heraus. Seine Augen füllten sich mit Tränen des Selbstmitleids. »Ich bin nur noch ein Toter auf Urlaub, mein lieber Kyle. Der Tag der Abrechnung ist gekommen. Und zwar schneller, als ich es gedacht hätte. Aber ich schlage vor, wir rechnen mit ihnen ab, nicht umgekehrt.«
»Wir?«
Max schloss die Augen. »Es tut mir leid. Aber es ist jetzt zu spät für Entschuldigungen. Wir müssen handeln. Sofort.«
»Dan ist tot.«
Max hielt inne. »O nein.«
»O ja! Mein Kumpel ist tot.« Kyle deutete mit der Hand zur Tür. »Ich bin eben in seiner Wohnung gewesen! Sie haben eine Ladung Zähne auf einer Untertasse in seiner Küche hinterlassen.«
Max starrte ins Nichts und dachte nach. »Drei Heimsuchungen in einer Nacht. Dan, ich und Gabriel. Ich habe jeden Morgen angerufen, weil ich wissen wollte, ob er … nun ja, ob Gabriel die Nacht überlebt hat. Bis jetzt. Also sind sie, kurz nachdem Sie fortgefahren sind, auf uns drei gleichzeitig losgegangen. Oder auf uns vier, wenn wir Malcolm Gonal noch hinzurechnen, aber darüber weiß ich nichts.« Max schüttelte den Kopf, dann ging er weiter den Flur entlang. Seit er die Tür geöffnet hatte, hatte er noch nicht so entschlossen gewirkt.
»Max!«
Max sagte etwas, aber mehr zu sich selbst. »Das war eine konzertierte Aktion. Seien Sie froh, dass Sie unterwegs waren. Die Polizei vernimmt Gabriels Pflegerin. Können Sie sich das vorstellen? Sie wollen wissen, wie er einfach so verbluten konnte. Im Bett.« Max krümmte sich, als hätte er schlimme Bauchschmerzen. »Er lag einfach nur da und ist verblutet.«
Kyle blieb stehen und dachte fieberhaft nach. Er wusste nicht mehr, wo er anfangen sollte oder was er überhaupt sagen wollte. Er war sprachlos vor Wut, Unverständnis, Ekel, Trauer und Verwirrung. »Die Polizei.«
Max lachte hämisch, als wäre das eine geradezu aberwitzige Idee. »Das ist hoffnungslos, das kenne ich schon.«
Mit zwei Sprüngen war Kyle bei ihm und drängte ihn gegen die Wand. Der alte Mann krümmte sich vor Schmerzen. »Du Dreckskerl!« Speichel sprühte aus Kyles Mund. Max musste blinzeln. »Dan! Was ist mit Dan?«
Max versuchte sich zusammenzureißen, obwohl Kyle mit den Fäusten vor seinem Gesicht herumfuchtelte. Er starrte Kyle angewidert und überrascht an. Er schien seine Wut nicht zu verstehen.
»Ich will meinen Freund zurückhaben. Wie?« Kyle schrie jetzt so laut, dass es durch den Flur nach draußen hallte. »Kein beschissenes Gerede mehr, Max. Keine Bilder, keine Andeutungen und …«
»Sie haben sie doch gesehen. ›Die Heiligen des Schmutzes‹. Deshalb habe ich doch so viel Zeit verschwendet, um Sie dorthin zu schicken. Damit Sie genau wissen, mit was wir es zu tun haben. Damit Sie es akzeptieren.«
»Ich weiß überhaupt nichts. Ich hab nur ein paar Gemälde betrachtet, auf denen abscheuliche Dinge zu sehen waren. Aber das, was darauf angedeutet wird … ist einfach unmöglich. Kann gar nicht sein. Es ist jetzt Zeit für die Polizei. Dan …«
»Unmöglich? Die Polizei?« Max grinste. »Was wollen Sie denen denn erzählen?«
»Ich könnte Sie fertigmachen. Das würde mir schon gefallen. Das wäre es mir wert.«
»Kyle, Sie sind doch ein intelligenter Mensch. Können Sie das denn nicht begreifen? Können Sie nicht akzeptieren, was passiert ist? Was gerade passiert? Sogar nach allem, was geschehen ist? Gabriel, Martha, Susan, der arme Dan. Und wir auch, wenn wir nicht handeln. Mein lieber Freund, es wird Zeit, dass wir das Undenkbare tun.«
»Das was?«
»Sie werden es schon verstehen. Sie müssen. Es ist der einzige Grund, warum ich noch hier bin. Ich habe
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