Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
Vom Netzwerk:
stattgefunden?«
    »Sitzungen. Manchmal gingen sie die ganze Nacht. Begannen am Abend und hörten erst morgens auf, wenn man völlig erschöpft war. Endlos, es war endlos. Sie hat unsere Schande gesehen. Wir kamen hierher, um uns von den Verfehlungen der Vergangenheit zu reinigen, unseren Lastern … der Verantwortung, den Enttäuschungen  … alle unsere Bindungen zu kappen, außer an sie. Alles. Sogar Erinnerungen. Sie wollte alles haben. Alles. Von uns. Alles, was uns zu Menschen machte. Was uns einzigartig machte. Alles, was eine Trennung zwischen uns und ihr bewirken konnte.
    Sie müssen dazu wissen, dass wir damals ganz anders waren. Aufgeschlossen. Unendlich gelangweilt. Wir fürchteten uns davor, vom Alltag versklavt zu werden. Wir hatten Angst vor dem Ende der Welt. Wir waren jung. Wir wollten etwas erleben. Das Leben schlechthin! Wir hatten so viel zu sagen. Und auszuprobieren.« Susan wandte sich Kyle zu, sie rang nach Atem und zitterte wegen des Gefühlsausbruchs, der sie erfasst hatte. Er hörte auf, die XLR-Kabel in die zweite Kamera und das DAT-Aufnahmegerät zu stecken. Ihre Augen waren weit aufgerissen und leuchteten. Unter ihrem dicken Make-up schimmerte es rosig. »Wir suchten einen Mentor, einen Lehrer, der uns von unserem Ego befreite.«
    »Und das war Schwester Katherine, richtig?«
    Sie schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. »Jemand, der die Faust hier öffnete.« Dan sprang hinter die erste Kamera, die auf das Stativ montiert war. Sie schlug gegen ihre knochige Brust. »Und hier. Würden Sie das nicht auch annehmen? Ich war eine dämliche Tippse. Ich wohnte noch zu Hause. Bei Mama und Papa. Aber ich wollte Musik um mich herum haben, Liebe und Freundschaft. Ich wollte etwas Besonderes tun, jemand Besonderes sein, ich wollte leben. Und all das hier war neu für mich. Hier konnte man reden. Durfte alles sagen. Ich war sehr schüchtern, aber sie hat mich davon befreit. Sie konnte so lieb sein. Sie war unsere beste Freundin und unsere Mutter und unser Beichtvater, so war es zu Anfang. O ja, ich habe hier viel geweint. Geweint, als
es alles aus mir hervorbrach. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie gut sich das anfühlte. Für jeden Einzelnen von uns. Hier sein zu dürfen, mit allen gemeinsam an allem teilzunehmen. Wir waren jung und dumm und ständig verliebt. Wir lebten ein Leben ohne Geheimnisse, aber wir suchten nach den großen Geheimnissen des Lebens. Wir glaubten, wir wären völlig frei.« Susan hielt inne, atmete lang und tief aus und sagte dann: »Und bevor wir wussten, wie uns geschah, hatte sie uns allesamt.«
     
    »Sie sind zwei Jahre lang bei der Letzten Zusammenkunft geblieben. Warum haben Sie so lange gebraucht, um von dort fortzugehen?«
    Kyle trug Kopfhörer, hatte den Mischer über eine Schulter gehängt und hielt die Tonangel mit beiden Händen. Er stand hinter der zweiten Kamera, während Dan mit der ersten eine Nahaufnahme von Susan machte. Sie hatte zwei Sennheiser-Mikrofone angesteckt bekommen. Alle drei Mikros waren mit dem DAT-Rekorder neben Kyles rechtem Fuß verbunden. Sie waren bereits beim zweiten Take, weil Susans Schal die Tonaufnahme beim ersten Mal ruiniert hatte. Sie hatten es eilig gehabt und bei der Tonprobe nicht auf den Schal geachtet. Dan hatte beide Kameras so aufgestellt, dass sie Susan aus verschiedenen Perspektiven filmen konnten. Sie wussten aus Erfahrung, dass es wichtig war, Finger Mouse mit so viel Material wie nur möglich zu beliefern, wenn das Interview etwas länger wurde. Was bereits der Fall war, denn es schien, als wäre bei Susan White innerlich etwas aufgebrochen, kaum dass sie das Haus betreten hatte.
    »O nein, ich hätte Katherine niemals verlassen können. Nein, nein, nein.« Susan stand neben dem zweiflügeligen Fenster im Zimmer des ersten Stocks und starrte hinunter auf den Garten. »Wir waren ja etwas Besonderes. Wir hatten das System besiegt, wissen Sie. Wir waren sehr zufrieden mit uns, weil es uns gelungen war, ein Teil dieser Sache hier zu sein.«
    »Aber Sie haben ihr auch Ihr ganzes Geld gegeben, um dabei sein zu dürfen.«
    »Wir brauchten ja nichts! Ich habe meinen ganzen Besitz verkauft. Sogar den Schmuck meiner Großmutter. Habe mein Postsparkonto leer geräumt. Und ihr alles gegeben. Ihr und der Letzten Zusammenkunft. Das war ja das Gleiche. Katherine war die Zusammenkunft. Ein paar arme Mädchen haben ihre gesamte Erbschaft eingebracht, wissen Sie. Schwester Urania und Schwester Hannah zum Beispiel. Seine

Weitere Kostenlose Bücher