Der letzte Tag: Roman (German Edition)
selbst gemachtes Kunsthandwerk verkauft hatten. Von dort aus schickten sie auch das Manuskript von Katherines Buch und die Artikel für ihre Zeitschrift Gospel an den Herausgeber in Dorset, Artikel, die immer surrealer anmuteten. Max hatte zu dem Info-Material eine Ausgabe des Buchs und auch zwei seltene Ausgaben des Magazins gelegt. Das Buch war so gut wie unlesbar, es war in einem eigenartigen alttestamentarischen Stil verfasst und bestand größtenteils aus unverständlichem Kauderwelsch und Katherines Beschreibung der eigenen Göttlichkeit und ihrer Rolle als Retterin ihrer Gemeinde sowie selbstgerechten Klagen über die Verfolgung ihrer Sekte und dem Exodus aus einer Welt, die längst vom rechten Glauben abgefallen war. Einer Welt, der sie den Rücken zugekehrt hatte, um verschleierten Hinweisen zu folgen, dass sie und ihre Anhängerschaft in der Abgeschiedenheit gottähnliche Unsterblichkeit erlangen würden. Die Zeitschrift wiederholte immer wieder das Gleiche und versprach gebetsmühlenartig die Errettung vor den falschen Zwängen der
Familie, der Gesellschaft und des Staates, aber nur indem man sich der Führerin und ihrer visionären Botschaft bedingungslos unterwarf. Weder das Buch noch die Zeitschrift konnten als bedeutende Hinterlassenschaft betrachtet werden. Das waren nur Zeugnisse manischer Besessenheit und gigantischer Selbstüberschätzung.
Das Grundstück war seit vielen Jahren nicht mehr gepflegt worden, womöglich seit März 1972, als die Sekte es nach einem harten, qualvollen Winter verließ. Max zufolge war es niemals verkauft worden und gehörte immer noch zum Nachlass des Tempels der Letzten Tage. Umso unverständlicher war es, dass er fürchtete, jemand könnte ihre Anwesenheit hier bemerken. Max hatte erklärt, er habe nicht herausfinden können, ob es eine testamentarische Verfügung gab, aber er behauptete, eine Firma in Nassau auf den Bahamas verwalte das Eigentum treuhänderisch. Falls dieser verlassene Bauernhof noch immer jener Organisation gehörte, die eigentlich vor fast vierzig Jahren aufgehört hatte zu existieren, warum sollte man sich dann Gedanken über unbefugtes Eindringen machen?
Bleiben Sie auf dem Pfad , hatte Max sie instruiert. Er hatte ausdrücklich darauf hingewiesen, aber nur ein einziges Mal, als sie auf der französischen Seite des Ärmelkanals angekommen waren. Katherine hat behauptet, sie hätte Fallen aufgestellt, um Eindringlinge abzuschrecken und abtrünnige Sektenmitglieder von der Flucht abzuhalten. Ich habe gehört, es seien solche Fallen, wie man sie früher benutzte, um Dachse oder verwilderte Hunde zu fangen. Sie sind mit einer Feder gespannt und können einem Menschen das Bein brechen. Die Zacken sind aus Stahl und können bis auf die Knochen eindringen. Ich dachte immer, das sei gelogen und sie wären (sicherlich?) inzwischen entfernt worden; immerhin ist es ja vierzig Jahre her. Aber auf jeden Fall ist es ratsam, auf dem Pfad zu bleiben. Bitte.
Als Kyle den anderen während der Fahrt davon berichtet hatte, war das nicht besonders gut angekommen. Bruder Gabriel war
nicht in der Lage gewesen, die Geschichte von den Fallen zu bestätigen oder als Lüge zu entlarven. Er hatte den Hof schon zum Ende des ersten Jahres verlassen.
»Was denn für ein verdammter Pfad?« Kyle starrte auf das weite, völlig verwilderte Feld, das in der Ferne auf beiden Seiten von Drahtzäunen und dichten Hecken begrenzt wurde. Das Wäldchen war die einzige deutlich auszumachende Besonderheit inmitten dieses Pflanzengewirrs. Und jenseits der wuchernden Bäume schien sich das verwilderte Land noch weiter zu erstrecken. »Hippie-Blödsinn!«
Wenn er nach unten blickte, konnte er unterhalb seines Gürtels kaum noch etwas erkennen. In seinem Kopf tauchte das Bild eines rostigen, skelettartigen Gebildes auf, das in der Erde steckte. Mit weit aufgerissenen, gezackten Kiefern. Ein Mechanismus unter dem wuchernden Kraut, der seit vier Jahrzehnten darauf wartete, beim kleinsten Druck zuschnappen zu dürfen. Er spürte, wie sein Rektum sich anspannte, als er die Hinterbacken zusammenkniff.
Niemand würde ihre Schreie hören, das Dorf war über drei Kilometer entfernt und sowieso völlig verlassen. Weder Dan noch Bruder Gabriel konnten Auto fahren. Kyle stellte sich vor, wie das warme Blut über seine Hände floss, während er verzweifelt versuchte, den Fuß aus der verrosteten Eisenfalle zu zerren. Er schob den Gedanken energisch beiseite. Das mit diesen Fallen war sicherlich nur ein
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