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Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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Scheune.«
    »Wozu wurde die benutzt?«
    »Für die Kinder.«
    »Da waren die Kinder untergebracht?«
    Gabriel erwiderte nichts. Kyle ließ sein Schweigen für sich sprechen und fragte nicht weiter nach.
    Sie betraten das Gelände des Gehöfts und blieben vor dem größten Gebäude stehen, an der Stelle, wo sich eine Art Innenhof befunden hatte. Die Überreste eines alten Pfluges und ein zusammengebrochener Karren waren im hohen Gras zu erkennen und wirkten wie Reste von Elefantenskeletten.
    Kyle wurde sich der Stille bewusst, während er versuchte, die besten Einstellungen zu finden. Hier gab es eindeutig mehr zu
sehen als auf den Schwarz-Weiß-Fotos in Levines Buch. Die Stille machte ihn ziemlich nervös, weil er das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Es war mehr als nur das Fehlen von Geräuschen, und die eigenartige Aura, die sich aus dem fortgeschrittenen Verfall der Gebäude ergab, berührte ihn mehr, als ihm lieb war. Es war einfach viel zu still hier.
    Die Luft wirkte dicht und kühl, nichts regte sich, kein Windhauch bewegte die wilden Gräser der Wiese, kein einziges Insekt flatterte oder summte herum, obwohl sie jede Menge davon in der Wiese bemerkt hatten, als sie hindurchgelaufen waren. Dennoch konnte man die Atmosphäre auf dem Gehöft nicht gerade als friedlich bezeichnen. Man hatte eher das Gefühl, es könnte jeden Moment etwas passieren.
    Gabriel saß jetzt am Rand des Innenhofs im Gras und starrte die Gebäude an. Er sah aus wie ein Kind mit dem Kopf eines alten Mannes.
    Zwischen den Anweisungen, die er Dan gab, der üblicherweise bei den Aufnahmen wenige Instruktionen brauchte, fing Kyle an, mit seiner Kamera Standbilder zu machen. Dann baute er die zweite Kamera in der Nähe der Scheune auf. Sie schnitten immer die Aufnahmen beider Kameras zusammen. Am liebsten hätte er vier Kameras gehabt. Aber das waren Träumereien.
    Sie begannen mit den Establishing Shots. Die erste Einstellung bei jeder einzelnen Szene war für ihn immer eine Demonstration seiner Intentionen als Regisseur. In diesem Fall ging es um Verfall und Zerstörung, um Leere, Vergänglichkeit und Verwahrlosung. Das alles war hier natürlich viel deutlicher zu sehen als in dem Haus in London. Jetzt hatte er sogar die Idee, dieser Ort könnte von einer unsichtbaren Kraft heimgesucht sein, von etwas, das hier einmal gewesen war und von dem noch Überreste vorhanden waren. Er unterdrückte diese Assoziationen, als er merkte, dass Gabriel offenbar ähnliche Gedanken hegte.
    »Hast du alle Aufnahmen, die du brauchst?«, fragte er Dan.
    Der nickte hinter seiner Kamera. »Die Master Shots sehen gut aus. Ich hab das Material für die Zwischenschnitte und mach jetzt noch ein paar Nahaufnahmen.«
    Die Location sah nicht so aus, als könnte es irgendwelche technischen Probleme geben. Bei den Innenaufnahmen würden sie künstliches Licht benötigen. Dann blieben nur noch die Interviewszenen übrig, und sie bräuchten noch einige Totalen, Halbtotalen und Close-ups. »Eins muss man Max lassen, er hat wirklich ein Händchen für abgefahrene Drehorte.«
    Dan nickte und grinste vor sich hin.
    Kyle holte das Exemplar von Levines Die Letzten Tage und sein Skript aus dem Rucksack. Dann schlug er den Bildteil des Buchs auf und suchte nach der Skizze vom Grundriss des Bauernhofs. Versuchte, sich den Ort, an dem er sich befand, aus der Vogelperspektive vorzustellen. Er wurde von einem der sechzehn Fotos auf der gegenüberliegenden Seite abgelenkt, die in diesem »sensationellen Klassiker des True-Crime-Genres« abgedruckt waren. Darauf war das Hauptgebäude aus der gleichen Perspektive zu sehen wie von der Stelle, an der er jetzt kauerte. Auf dem Schwarz-Weiß-Bild konnte man erkennen, dass die Fenster Scheiben gehabt hatten, und auch die jetzt fehlenden Türen waren zu sehen. Vor dem Haus standen zwölf Sektenmitglieder. Zwölf von den dreiundzwanzig, die zu diesem Zeitpunkt noch in der Sekte waren.
    Auf dem Bild hatten auch die Männer lange Haare und außerdem Vollbärte. Die meisten lächelten in die Kamera. Das Bild war 1970 fotografiert worden, aber es sah aus, als stammte es aus dem Jahr 1870. Die Abgebildeten wirkten wie eine eigenartige Kombination aus Dominikanermönchen, alttestamentarischen Propheten und Hippies. Alle Sektenmitglieder trugen diese Kapuzenmäntel, für die sie schon auf den Straßen von London berühmt waren und die sie auch später in Los Angeles und Yuma anhatten.
    »Gabriel.« Kyle forderte ihn mit einer Kopfbewegung auf, zu

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