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Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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einen Stab oder ein Zepter.
    »Ich weiß nicht genau, was ich hier vor mir sehe«, sagte er ins Mikro. »Aber ich befinde mich im Innern des Tempels der Letzten Zusammenkunft. Das Bild ist an der Wand. Es sieht aus wie eine Gestalt. Über dem Eingang ist eine weitere Figur. Eine dritte am Kopfende des Raums.« Kyle ging vorsichtig genau den gleichen Weg über den schmutzübersäten Boden wie vorher. Er machte eine Aufnahme von der Gestalt über der Tür und dann von der gegenüber dem Eingang. Ziemlich hastig und gleichzeitig bemüht, den halb erleuchteten Raum im Blick zu behalten, weil er vorhin den Verdacht gehabt hatte, dass sich irgendwas hier drin bewegt hatte.
    Und da war es wieder: Ein hastiges Huschen, das sich durch die welken Blätter am anderen Ende des Gebäudes bewegte, dort, wo das Licht des Scheinwerfers die Wände kaum noch erhellte. »Mein Gott!« Bevor es ihm gelang, sich umzudrehen und in die Richtung zu schauen, aus der das Geräusch kam, stieß etwas gegen ihn.
    Kyle verlor das Gleichgewicht, taumelte nach rechts und fiel auf ein Knie. Seine rechte Hand sank durch eine kalte und nasse Masse am Boden. Um sein Knie herum, das sich in den Boden bohrte, spürte er Feuchtigkeit. Panisch tastete er die Stelle mit der Hand ab, aber da war nichts. Er stand hastig wieder auf und stolperte in der Dunkelheit herum, orientierungslos und benommen von dem Gestank, der ihm in die Nase drang. Ist doch nichts passiert. Bleib ruhig.
    Im dämmrigen Licht sah er sich um und konnte nichts entdecken, auch nicht an den drei Wänden, die von dem kleinen Scheinwerfer notdürftig erhellt wurden. Aber seitlich an seinem Hals spürte er etwas, als hätte etwas Dünnes, Sprödes ihn dort berührt, ein blattloser Zweig vielleicht, ein vertrocknetes Stück Holz, das man auf dem Weg durch einen herbstlichen Wald streift.
    Er hielt den Atem an und flüsterte anschließend vor sich hin, um dem Drang, nach draußen zu stürzen, zu widerstehen. Dann hob er die Kamera mit dem Stativ hoch und filmte die Wände, von denen die Farbe abblätterte, die geschwärzten Balken und die eigenartigen Flecken. Aber in seinem Sucher bewegte sich nichts. Er schluckte. »Es ist irgendwie unheimlich. Hier drin hat man das Gefühl, man ist nicht allein. Das gefällt mir überhaupt nicht.«
    Kamera und Stativ als sperrige Last auf den Schultern, ging Kyle vorsichtig durch die Scheune zum Ausgang und blickte dabei zurück, während er vorwärtsstolperte, immer in der Angst, er könnte auf dem Weg zur Türschwelle noch andere Schritte als seine eigenen hören.
    »Optische und akustische Halluzinationen. Das war es.« Ganz bestimmt, denn im dämmrigen Zwielicht, das durch die Türöffnung hereinfiel, konnte er deutlich erkennen, dass hinter ihm nichts war. Von draußen richtete er die Kamera noch einmal auf das Innere und blickte in den Sucher. Der ferne Schimmer an der gegenüberliegenden Wand war zu sehen, aber es bewegte sich nichts. Später konnte er ja die Tonspur und die Filmaufnahmen genauer daraufhin untersuchen. Hier wollte er die Aufnahmen dieser seltsamen Gestalten nicht noch mal ablaufen lassen, nicht in der Nähe dieses verfallenen Tempels.
    Er sog gierig die frische Luft ein und beeilte sich, die Kamera und das Stativ in die Tasche zu packen. Er schaute sich im Hof um und stellte sich vor, wie ihn irgendwelche Gesichter aus den Fenstern der Häuser und den Lücken in den Wänden des Zwingers anblickten. Die Gesichter im Zwinger waren kleiner . Er versuchte,
die grässlichen Gedanken abzuschütteln. »Hör auf damit.« Dann rief er nach Dan.
    Keine Antwort. Was war das also für ein lautes Geräusch gewesen? Und wer hat dich da drinnen im Tempel berührt? Er rief noch mal, jetzt lauter: »Dan!«
    Der Himmel war nun violett verfärbt, vorher, als er das letzte Gebäude betreten hatte, war er blaugrau gewesen, daran erinnerte er sich noch. Aber er hatte den Eindruck, als wären seine Augen, nachdem er den Tempel verlassen hatte, irgendwie verunreinigt. Er schaute zu der Sonne, die sich hinter einer niedrigen Wolke verbarg und versuchte, einen klareren Blick zu bekommen.
    Was ist jetzt zu tun?
    Die Fermette von Schwester Katherine musste noch gefunden  werden. Die restlichen Aufnahmen musste er selbst machen. Jedenfalls bis Dan endlich wieder auftauchte, um seinen verdammten Job zu machen . Deshalb würden die Aufnahmen bestimmt nicht korrekt komponiert oder ausgeleuchtet sein, jetzt, wo das natürliche Licht immer schwächer wurde. Außerdem

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