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Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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war es nicht möglich, mit zwei Kameras zu arbeiten wie sonst, und den Ton konnte er nur mit einem Mikro aufnehmen. Aber es wäre einfach zu schade gewesen, die Gelegenheit nicht zu nutzen. Am nächsten Tag wiederzukommen, war nicht vorgesehen und hätte alles durcheinandergebracht. Das Hotel lag viel zu weit von dem Hof entfernt, und sie mussten rechtzeitig die Fähre bekommen. In zwei Tagen flogen sie in die Staaten. So wie es im Moment aussah, hatten sie ohnehin kaum Zeit, sich darauf vorzubereiten. »Jesses.«
    Kyle nahm sich die Tonausrüstung, die er allein benutzen konnte, schulterte die erste Kamera und ließ den Rest einfach neben dem Tempelgebäude liegen. Mit weit ausholenden Schritten überquerte er den von Unkraut überwucherten Hof und suchte mit seinen Augen die Umgebung ab. Irgendwo mussten Dan und Gabriel doch sein. Er blieb kurz stehen und warf einen Blick auf das Wäldchen. Auch da war nichts von ihnen zu sehen. Er fragte
sich, ob es nicht doch besser wäre, abzuhauen. Die anderen beiden waren offenbar zum Wagen zurückgekehrt. Warum? Was dachte Dan sich überhaupt dabei? Er hatte keine Lust, in der Dunkelheit allein über diese Wiese zu gehen. Das Tor zu finden, würde auch schwierig werden. Und dann war da noch die Geschichte mit den angeblichen Fallen, die er nach allem, was er gesehen hatte, für immer plausibler hielt. »Scheiß drauf.«
    Dann wurde ihm wieder bewusst, wie still es um ihn herum war. Zwischen den Gebäuden war nicht der leiseste Lufthauch wahrzunehmen, kein Grashalm bewegte sich. Und kein Vogel zwitscherte im weiten Umkreis. Wodurch war also ganz in der Nähe ein Balken oder eine Holzlatte von einem der Gebäude herabgefallen? Er musste schlucken und fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Bemühte sich, nicht so zu keuchen, aber die Ausrüstung, die er mit sich schleppte, war nun mal sehr schwer. Er unterdrückte seine Panik und taumelte an der früheren Werkstatt vorbei auf die Wiese zu, die sich jenseits des Bauernhofs ausbreitete.
    Nachdem er die Hauptgebäude hinter sich gelassen hatte, entdeckte er einen Schornstein, der zu dem kleinen Haus gehören musste, in dem Schwester Katherine gewohnt hatte. Es lag ungefähr siebenhundert Meter entfernt zwischen einer Reihe von Weiden.
    Jetzt konnte er sich wieder konzentrieren. Nervöse Anspannung trieb ihn erneut an. Eine Totale mit dem Stativ, dann eine Halbtotale wären ideal, um die beklemmende Atmosphäre einzufangen, die diese Landschaft ausstrahlte und die er nicht länger für Einbildung hielt. Aber jetzt war keine Zeit mehr für differenzierte Kameraarbeit, das Unvermeidliche ließ sich nicht mehr hinauszögern. Jetzt oder nie.
    Er fluchte auf Max, Dan und Bruder Gabriel und kämpfte sich durch das hohe Gras hindurch, direkt auf die verlassene Fermette von Schwester Katherine zu, ganz allein.
     
    Vierzig Jahre, nachdem Schwester Katherine ihre Koffer gepackt hatte, stand ihr ehemaliges Quartier immer noch an seinem Platz. Die Fermette war aus Natursteinen unterschiedlicher Größe errichtet worden und maß ungefähr fünfzehn Quadratmeter, der Putz war größtenteils abgeblättert. Eine Seite war ganz von Efeu bedeckt, der bis zum Schornstein hinaufreichte. Viele Dachziegel waren heruntergefallen, aber die Balken lagen noch gerade, und das Dach wirkte stabil. Ein Meer aus Gras mit weißen Spitzen umgab das Gebäude und reichte bis an die Simse der Fenster im Erdgeschoss. Die Fensterscheiben und die Eingangstür waren noch intakt.
    Kyle stellte die Kamera auf das Stativ und machte einige Close-ups der Vorderseite der Fermette: eine Tür, drei kleine Fenster, zwei davon im Erdgeschoss. Er steuerte den Ton auf dem Mischer aus und baute das Mikrofon auf. Dann atmete er tief durch und warf einen Blick auf die Umgebung, über der die Dämmerung hereinbrach. Zufrieden stellte er fest, dass er noch immer allein war, und wandte sich der Tür zu in der Hoffnung, dass sie verschlossen war. War sie aber nicht. Er schob sie auf.
    Im körnigen Licht der Dämmerung konnte er drei dicke Balken unter der Decke erkennen, die von kleineren Bohlen aus dem gleichen dunklen Holz gekreuzt wurden. Verschmutzter Putz füllte die Räume zwischen den Balken aus und bedeckte die Wände. Auf dem Zementboden vor dem großen rußgeschwärzten Kamin entdeckte er eine uralt aussehende Badewanne, die auf krallenartigen Füßen stand. Die Wanne wirkte seltsam anheimelnd inmitten dieser vernachlässigten und lange verlassenen Umgebung. Eine

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