Der letzte Tiger
Fall auf derListe der gefährdeten Tiere und wurden teuer gehandelt. Er fragte sich, was für Pao wohl heraussprang, wenn er die Tiere verkaufte. Sicherlich war er nicht derjenige, der in dem Geschäft das große Geld machte. Statt ihn aber danach zu fragen, ging Ly zu ihm nach vorne und versuchte noch einmal, an ihr Gespräch von gestern anzuknüpfen und auf Truong zu sprechen zu kommen.
Pao tat, als verstehe er Lys Fragen nicht, und schüttelte nur mehrmals den Kopf. Dabei hatte Ly gestern das Gefühl gehabt, dass er, auch wenn er nicht sonderlich gut Vietnamesisch sprach, es doch weitgehend verstanden hatte.
*
Pao brachte Ly in Richtung Na Cai. Sie fuhren mit Lys Vespa, die ziemlich verbeult war, aber noch funktionierte. Es war nicht weit, doch mit seinem Arm hätte Ly den Weg hinunter ins Tal alleine kaum gemeistert. Es war ein von Büffeln ausgetretener Pfad mit tiefen Rillen. Selbst Pao schlug der Lenker mehrmals weg. Immer wieder mussten sie sich mit den Füßen abstützen, um nicht zu stürzen.
Sie kamen an den ebenerdigen, aus anscheinend wahllos zusammengenagelten Holzlatten gezimmerten Hmong-Häusern vorbei, die dem von Pao ähnelten, und an einer Thai-Siedlung: große Holzhäuser auf Pfählen, davor Gärten mit Hibiskussträuchern, Drachenfrucht-Kakteen und Bananenstauden. Hunde schlugen an, ohne dass Ly sie sehen konnte.
Pao fuhr bis zu der Stelle des Pfades, wo er in eine asphaltierte Straße mündete. Von dort aus kam Ly selbstklar. Er musste lediglich seinen Arm aus der Schlinge nehmen. Ly bedankte sich noch einmal für Paos Hilfe und die Gastfreundschaft. Dann gab er Gas.
*
Na Cai bestand aus Häusern, die sich entlang der Durchgangsstraße aufreihten. Kastenförmige Backsteingebäude, wie sie auch in der Stadt standen: ein bis vier Etagen hoch und rosa, türkis oder himmelblau getüncht. Die wegen potenzieller Geschäftsmöglichkeiten teuer gehandelten Straßenfronten waren schmal, dafür reichten die Häuser tief nach hinten. Die Seitenwände waren fensterlos, was seltsam aussah, da die dicht angrenzenden Nachbarhäuser, wie es sie in der Stadt gab, hier fehlten. Vor jedem Haus wehte eine vietnamesische Flagge.
Na Cai schien einer dieser auf irgendeinen Regierungsbeschluss hin aus dem Boden gestampften Orte zu sein. Er passte so gar nicht in die Landschaft.
Wie in all diesen Orten war die Post überdimensioniert, mit weiß gekachelter Fassade und einem Wald aus Antennen auf dem Dach. Der Markt, ein Betonplatz, war leer. Am Straßenrand hockten drei Bäuerinnen mit ausgemergelten Gesichtern, in weiten schwarzen Hosen und braunen Blusen, die Haare straff zu Knoten gebunden, die Lippen rot von Betelnuss. Zwischen ihren Beinen standen Bambuskörbe mit geschältem und getrocknetem Ingwer.
Mitten auf der Straße lagen Hunde und dösten. Jungen spielten auf einem sandigen Platz neben einer Petrolimex -Tankstelle mit einer alten Konservendose, die sie unter lauten Zurufen hin und her schossen.
Ly hielt vor der einzigen Zapfsäule der Tankstelle. Zwei junge Frauen, die gerade vorbeigingen, blieben stehen, schauten ihn unverhohlen an und lachten hinter vorgehaltenen Händen. Der Tankwart saß in einem Stuhl, seine Augenlider hingen tief, und es sah aus, als schliefe er.
»Hallo?«, rief Ly.
»Ja, ja, komme schon.« Der Mann hustete, spuckte aus und stand dann schwerfällig auf. »Auf dem Weg nach Laos, eeh?« Das »eeh« war langgezogen und klang in Lys Ohren ausgesprochen unhöflich.
»Voll«, sagte Ly.
Der Tankwart sah auf das Nummernschild des Rollers und nickte mit vorgeschobenen Lippen. »Aus Hanoi, eeh? Was wollen Sie denn in Laos? Geschäftlich?«
Ly ignorierte die Fragen, doch das hielt den Mann nicht davon ab, einfach weiterzureden. »Die sind doch alle faul da drüben. Arbeiten nur, wenn sie dringend Geld brauchen. Ansonsten sitzen sie rum und saufen. Und wir, wir müssen die Arbeit machen.« Der Tankwart sprach mit einer leiernden Stimme. »Sind doch nur noch Vietnamesen da drüben, die die Arbeit erledigen. Den Wald abholzen. In den Erzminen schuften.«
»Gibt es hier in Na Cai ein Gästehaus?«, unterbrach Ly ihn.
»Für wen?«
»Für wen wohl. Für mich.«
»Was wollen Sie bei uns?«
Ly stöhnte, leise, aber doch so, dass der Mann es hörte. »Haben Sie nun ein Gästehaus oder nicht?«
»Haben wir nicht«, sagte der Tankwart, schien aber überLys Anliegen nachzudenken. Schließlich sagte er: »Sie können im alten Schulgebäude unterkommen. Findet sowieso kein Unterricht
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