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Der letzte Tiger

Der letzte Tiger

Titel: Der letzte Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Luttmer
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um eine offene Feuerstelle in der Raummitte. Sie redeten leise. Unter der Decke hing eine brennende Petroleumlampe. Sie verströmte einen beißenden Geruch, der sich mit dem des Holzfeuers mischte. Die Luft war so rauchig, dass es in Lys Kehle und in seinen Augen brannte. Soweit er sehen konnte, gab es keinen Abzug. Er hustete.
    »Hunger?«, fragte Pao, der sich auf Lys Husten hin sofort zu ihm umgedreht hatte.
    »Großen Hunger«, sagte Ly.
    Xang kam zu ihm hinüber und half ihm hoch. Ly biss die Zähne zusammen. Vorsichtig stellte er die nackten Füße auf den gestampften Lehmboden, der eiskalt war. Auch sonst war es kühl im Raum. Durch die Ritzen in der Wand zog es. Gestützt von dem Jungen, ging Ly zum Feuer hinüber, in dessen Nähe es wohltuend warm war.
    Auf einem Metallgestell über dem Feuer standen ein rußgeschwärzter Topf und eine Teekanne. Darüber hing an Ketten von der Decke ein runder Grillrost, auf dem Fleisch räucherte. Ly konnte Büffelhufe erkennen, eine ziemlich große, schon tiefschwarz geräucherte Leber und andere Fleischstücke.
    Er setzte sich zu den Männern auf die Matte. Im Licht des Feuers schimmerten ihre Gesichter rötlich.
    »Ich bin Khai«, sagte der fremde Mann. Sein Gesicht war ebenso wettergegerbt wie das von Pao, und seine Wangenwaren eingefallen. Die Augen wirkten zu groß für sein schmales Gesicht, was ihn ängstlich aussehen ließ. Oder ein bisschen verrückt. Er musste jünger sein als Pao. Ly hatte vorhin gehört, wie er den Hmong mit anh – älterer Bruder – angesprochen hatte. Er trug ein T-Shirt und eine billige Militärhose, durch deren Schlaufen er als Gürtelersatz eine Kordel gezogen hatte.
    »Wie geht es Ihnen?«, fragte Khai. Seine Worte waren unprononciert, und Ly dachte, er sei betrunken. Doch dann sah er, dass ihm beide Schneidezähne fehlten.
    »Besser?«, fragte Pao.
    »Etwas besser«, sagte Ly.
    Pao nickte zufrieden und stellte ein rundes Aluminiumtablett mit dem Abendessen auf die Matte. Es gab Maniokbrei, eine klare Brühe mit Bambus und ein furchtbar bitteres Wurzelgemüse, das Ly hinunterwürgte. Er hoffte, sein Gastgeber bemerkte es nicht.
    Aus einem Büffelhorn schenkte Pao drei Wassergläser randvoll mit Schnaps ein.
    »Passen Sie auf, das Zeugs kann Elefanten umhauen«, sagte Khai und lachte.
    » Haul Chouz .« Pao hob sein Glas.
    » Haul Chouz «, rief Khai.
    »Ich danke Euch für meine Rettung«, sagte Ly und nickte erst Pao und seinem Sohn, dann Khai zu und trank von dem Schnaps. Er schmeckte weich und leicht süßlich.
    Ly vermutete, Haul Chouz war ein Hmong-Trinkspruch. »Sind Sie auch Hmong?«, fragte er Khai leicht irritiert, da er ihn eben mit Pao Vietnamesisch hatte sprechen hören.
    »Nein, bin ich nicht«, sagte Khai. »Nur ein Freund. Ichbin Ranger hier.« Khai erzählte, dass er früher bei der Armee gewesen sei. Nach seiner Entlassung habe er sich als Wilderer durchgeschlagen. »Ich konnte gut mit dem Gewehr umgehen«, sagte er. Aber dann sei diese Sache passiert. Er habe einen Gibbon abschießen wollen. Das Tier saß weit oben im Baum. Er drückte ab, und kurz darauf klatschte etwas Blutiges vor seine Füße. Es war ein Gibbonbaby, es war winzig. Er hatte es mitten ins Gesicht getroffen. »Die kleinen Finger. Wie ein Menschenbaby.« Khai sprach jetzt sehr leise. »Ich habe nie wieder geschossen. Ich konnte nicht mehr.«
    Nach einem kurzen Schweigen klopfte Pao Khai auf die Schulter und sagte: »Und jetzt alte Jäger jagt Jäger.«
    »Ranger ist ein schlecht bezahlter Job«, sagte Khai. »Aber besser als nichts.« Wie um den Hungerlohn zu bestätigen, zupfte er an seinem alten T-Shirt.
    »Wird denn viel gewildert hier oben?«, fragte Ly.
    »Die Jagd lohnt sich bei uns kaum noch. Zu wenige Tiere sind übrig. Jetzt geht es hier vor allem um Holz, das illegal aus dem Wald geholt wird. Von solchen Leuten wie die, die Sie angefahren haben. Die sind skrupellos«, sagte Khai, und Ly bemerkte, dass er zu Pao hinüberspähte, der dessen Blick jedoch nicht erwiderte.
    »Die hätten Sie da im Reisfeld verrecken lassen«, schob Khai hinterher. »Nur um nicht erwischt zu werden.«
    »Was ist mit Schmuggel hier oben?«, fragte Ly.
    »Was meinen Sie? Drogen?« Khais Stimme hatte mit einem Mal etwas Aggressives.
    »Ach, egal«, beeilte Ly sich zu sagen. Die Gegend war berüchtigt für den Schmuggel von Drogen aus Laos. Um das zu erfahren, hätte er nicht herkommen müssen. Erzog ein Foto von Truong heraus, das er zu Hause noch in seine Hosentasche

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