Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte Tiger

Der letzte Tiger

Titel: Der letzte Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Luttmer
Vom Netzwerk:
in den Ort gefahren hatte. Es hatte aufgehört zu regnen und war jetzt nahezu windstill. Nur entfernt am Horizont zuckten hin und wieder Blitze auf.
    Der Pfad zu Paos Haus war noch schlammiger und ausgewaschener als beim letzten Mal. Ly versuchte so gut es ging, seitlich auf der Graskante zu laufen. Es wurde schnell dunkel, und bald konnte er kaum noch sehen, wohin er trat. Er wusste, dass er die Pfahlbauten der Thai erreicht hatte, als Hunde anschlugen. Von hier aus hatte er noch einen steilen Anstieg vor sich, und als er endlich bei Paos Hof ankam, klebte sein Hemd nass von Schweiß auf seiner Haut, und er war vollkommen außer Atem.
    Es war still. Nur ein einzelnes Insekt zirpte, und aus einem Gebüsch neben der Pforte drang ein leises Schnarchen, als läge dort jemand und schliefe. Ly ging ein Stück näher an die Büsche heran und versuchte, etwas zu erkennen. Er musste schmunzeln. Es waren Paos Hängebauchschweine, die dort eng aneinandergedrängt lagen. Er wollte gerade zum Haus hinübergehen, als sein Telefon klingelte.
    »Er ist weg!«, brüllte eine Stimme durch den Hörer. Es war Bangs Vater. »Weg, wie Sie gesagt haben. Sind Sie jetzt zufrieden?«
    »Nein. Ich mache mir Sorgen.« Ly spürte, wie wieder Panik Besitz von ihm ergriff. Der Junge musste irgendwo da draußen im Wald sein.
    »Mischen Sie sich nicht ein. Das hilft niemandem«, schrie der Grenzer und hatte schon wieder aufgelegt. Ly fluchte. Der Grenzer war nun schon der Zweite, der ihm sagte, er solle sich nicht einmischen.
    Einen Moment blieb Ly noch in der Dunkelheit stehen, dann ging er durch den Hof zu Paos Haus. Durch die Ritzen in der groben Holzwand schimmerte es rötlich. Vor der Tür lag ein Haufen leerer Blechdosen, der bei seinem letzten Besuch noch nicht dort gewesen war. Ly klopfte, wartete kurz, klopfte noch einmal und drückte gleichzeitig die Tür auf. Es roch streng nach Knoblauch und Hochprozentigem. Die Petroleumlampe flackerte. Ein Feuer brannte allerdings nicht, und im Haus war es kaum wärmer als draußen.
    »Herr Ly?« Pao stand sofort auf, als Ly eintrat, fasste mit beiden Händen nach seiner Rechten und drückte sie fest. Eine herzliche Begrüßung. Von Xang kam ein leises»Hallo«. Khai, der Ranger, war auch wieder zu Besuch. Er sprang auf und trat nah an Ly heran. »Lassen Sie Pao in Ruhe«, sagte er. »Das hab ich Ihnen schon mal gesagt.« Diesmal redete er nicht nur wegen seiner fehlenden Zähne undeutlich. Er war eindeutig betrunken.
    »Tsch, tsch«, machte Pao, fasste Khais Handgelenk und zog ihn von Ly weg.
    Khai machte eine ausholende Armbewegung und verlor dabei fast das Gleichgewicht.
    »Lass uns alleine«, sagte Pao.
    Der Ranger schnalzte mit der Zunge. »Du musst ja wissen, was du tust.« Er griff nach dem Tropenhelm, der an einem Haken neben der Tür hing, und verließ das Haus. Sie hörten noch ein Scheppern, gefolgt von Flüchen. Khai musste über die Dosen vor der Tür gestolpert sein.
    Pao bedeutete Ly, sich zu setzen, und schenkte ein Glas Reisschnaps ein.
    Ly trank sein Glas in einem Zug aus. »Ich suche Bang. Er ist verschwunden«, sagte er und erzählte von dem Film, den Bang ihm geschickt hatte. Er hielt Pao sein Handy hin, um ihn ihm zu zeigen. Doch Pao würdigte das Telefon keines Blickes.
    »Nicht Ihre Sache«, sagte Pao und sah zu seinem Sohn hinüber.
    »Doch. Verdammt«, entfuhr es Ly. »Diese Käfige müssen irgendwo hier im Wald stehen. Mein Freund Truong hat sie fotografiert. Jetzt ist er tot.«
    Pao schlenkerte mit dem Kopf hin und her und schloss dabei die Augen. Xang sagte etwas auf Hmong zu seinem Vater, es klang flehend.
    »Bang hat diese Käfige gefilmt. Es kann sein, dass er inGefahr ist«, sagte Ly. »Ich will ihn doch nur finden. Sonst nichts.« Ly haderte kurz mit sich, ob er auch noch von der Warnung des Blinden erzählen sollte. Pao war ein Schamane, er würde ihn bestimmt nicht auslachen. Er glaubte doch sicher an solche Sachen. Vielleicht konnte er sogar – anders als Ly – etwas mit den Worten anfangen. Also wiederholte Ly die Worte des Blinden: »Fast noch ein Kind. Im Wald sind die Bäume gefallen. Der Boden ist schwer und nass.«
    Pao murmelte etwas vor sich hin, das Ly nicht verstand. Dann stand er auf, kniete sich vor den Altar und wiegte den Oberkörper vor und zurück. Er wirkte wie in Trance.
    Ly beugte sich zu Xang hinüber. »Bring du mich zu den Käfigen«, bat er ihn. »Du warst es doch auch, der sie Bang gezeigt hat, oder?«
    Xang schaute zu seinem Vater

Weitere Kostenlose Bücher