Der letzte Vampir
passte, bis auf den grauen Ansatz. Ihr Gesicht war mit roten Flecken übersät, als hätte sie geweint oder getrunken. Vermutlich beides.
»Wer ist das, deine neue Freundin?«, fragte Deannas Mutter.
»Hallo, Roxie.« Caxton wollte es wenigstens versuchen. Sie schaute zu dem großen, rothaarigen Mann hoch. »Oh, Elvin, es tut mir so leid.«
Er schüttelte den großen Kopf. »Ja. Danke. Danke dir«, sagte er. Er schaute sich um, als wüsste er nicht genau, wo er war.
»Ich gehe jetzt«, sagte Clara.
»Um Himmels willen, doch nicht meinetwegen.« Roxie Purfleet widmete Caxton ein hämisches Grinsen. »Du bist schnell, was? Die eine ist noch nicht mal kalt, und schon krallst du dir die nächste.«
Clara ging ohne jede weitere Bemerkung. Caxton setzte sich mit den Purfleets hin und fing an zu erklären, was geschehen war.
48.
Deanna war tot. Es fiel nicht schwer, das zu akzeptieren, wenn man nur die Fakten betrachtete. Caxton konnte das Wissen in ihrem Kopf bewahren, sie konnte darum herumgehen, es aus allen Winkeln betrachten. Sie sah die Auswirkungen, den zu erledigenden Papierkram. Beispielsweise würde sie Deannas sämtliche Zeitschriftenabonnements kündigen müssen. Sie würde ihre Versicherung ändern müssen, eine knifflig ausbalancierte Reihe von Dokumenten, die Caxton erlaubt hatten, mit ihrer Staatsbedienstetenversicherung Deannas Arztrechnungen zu bezahlen.
Aber es erklärte nicht einmal im Ansatz, wie sie sich fühlte. Die Einzelheiten von Deannas Leben addierten sich nicht zu dem, was gerade passiert war. Deanna war tot. Als hätte die Farbe Blau aufgehört zu existieren. Etwas, auf das Caxton immer gezählt hatte, etwas, auf das sie ihr ganzes Leben gebaut hatte, gab es nicht mehr.
Es war nicht die Angst vor der Einsamkeit, die sie am meisten verunsicherte. Es war dieses existenzielle Loch in ihrer Weltsicht. Deanna war weg, für immer, und es war einfach so passiert, in der Zeit, in der man laut sagen konnte: Deanna war tot.
Viel später fuhr sie nach Hause, eine Stunde oder zwei nach Sonnenuntergang. Roxie Purfleet hatte im Krankenhaus ihre Pflichten entdeckt und an sich gerissen, in der festen Überzeugung, dass sie am besten wusste, wie ihre Tochter bestattet werden wollte. Sie hatte sich sogar geweigert, sich von Caxton bei der Planung der Trauerfeier helfen zu lassen. Deanna würde nach Boalsburg gebracht werden, wo sie geboren war. Caxton hatte sich eine Million Mal anhören müssen, wie Deanna über diesen Ort hergezogen hatte, wie sehr sie sich schon in der Grundschule danach gesehnt hatte, dort wegzukommen. Aber dort würde sie jetzt für immer liegen.
Fahren … Caxton fuhr, darauf musste sie sich jetzt konzentrieren. Sie betrachtete die gelben Straßenmarkierungen, aber bald bemerkte sie, dass sie sich darauf fixierte, nicht mehr wegsehen konnte. Sie zwang sich, den Rückspiegel und den toten Winkel zu kontrollieren.
Deanna war tot. Sie wollte Deanna anrufen und ihr erzählen, was gerade passiert war. Sie wollte sich auf die Couch setzen, den Fernseher ausschalten und einfach nur darüber reden, was das alles zu bedeuten hatte. Wem sonst hätte sie eine so monumentale Nachricht anvertrauen können? Zu wem konnte sie sonst zuerst gehen?
Die Fahrt. Richtig. Caxton kniff die Augen zusammen, als ein entgegenkommender Lastwagen vorbeiraste, seine Scheinwerfer zogen grelles Licht über ihr Gesicht. Sie blinzelte den Nachglanz fort und konzentrierte sich auf den Wagen, das Tachometer, die Tankanzeige. Egal, was es war, das sie im Hier und Jetzt festhielt.
Elvin, vermutlich die einzige Person auf der Welt, die noch weniger als sie begriff, was da passiert war, war so freundlich gewesen, sie zum Hauptquartier von Troop H zu fahren, wo sie die geliehenen Sachen gegen eine Ersatzuniform eingetauscht und ihren Wagen geholt hatte. Er hatte dort gestanden, seit sie in den Granola Roller gestiegen war. Bevor sie zu ihrem Spind gegangen war, hatte sie die Karosserie des Streifenwagens berührt, als wäre er eine Zeitmaschine, mit der sie zu dem Augenblick zurückreisen könnte, bevor Deanna gestorben, bevor sie selbst zu einem halben Vampir gemacht worden war. Dann hatte sie sich umgedreht, weil sie Elvin hinter sich gefühlt hatte. Er hatte an der Schwelle zwischen Gehen und Näherkommen verharrt, eine Masse, die von einer Art emotionaler Physik in diese und die andere Richtung gezerrt wurde. Überragen war das Wort, das einem einfiel. Er überragte sie, und er runzelte lange die Stirn, bevor
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