Der letzte Vampir
Atmosphäre zwischen ihnen wieder herzustellen. Aber vermutlich würde ihr Leben noch eine Weile kompliziert sein. Gemeinsam gingen sie zurück zum Krankenhaus, einem großen, modernen Klotz, das über den Fluss auf die Ruine der Walnut Street Bridge schaute. Caxton hatte es noch nie durch den Haupteingang betreten – sie hatten Deanna durch die Notaufnahme reingebracht –, darum dauerte es einen Moment, bis sie sich orientiert hatte. Schließlich führte sie Clara in einen Aufzug und dann durch einen langen Korridor. »Übrigens, es ist ein Privatzimmer, und ihre Zimmergenossin hält nichts von Frauen wie uns«, sagte sie. »Nur damit du Bescheid weißt.«
»Ich werde mich bemühen, dir nicht die Zunge in den Hals zu stecken, während wir am Bett deiner schrecklich verletzten Lebensgefährtin stehen«, sagte Clara mit übertriebenem Ernst.
Ein Lachen stieg in Caxton auf, und sie schnaubte ihre ganze Frustration heraus, ließ sich schwer gegen die Wand sacken und schloss kurz die Augen. Gott, das hatte sie gebraucht. »Danke«, sagte sie, und Clara zuckte bloß mit den Schultern.
Caxton klopfte an und drückte die Tür auf. Sie gingen lautlos am Badezimmer vorbei in den Raum, der nur vom Flackern des Fernsehers erhellt wurde. Die fette Frau in dem zweiten Bett schlief, das Gesicht der Wand zugedreht, und Caxton bemühte sich, so leise wie möglich zu sein, um sie nicht zu wecken. Clara blieb an der Tür stehen.
Caxton ging zu Deannas Bett, und ihr entfuhr ein Keuchen. Es war leer.
Sie schlug eine Hand vor den Mund und rannte in den Korridor hinaus. Clara packte sanft ihren Arm. »Sie haben sie nur verlegt. Bestimmt«, sagte sie. »Es ist okay. Sie haben sie nur verlegt.«
Caxton eilte zum Schwesternzimmer und starrte finster die Frau an, die etwas in den Computer eingab. »Deanna Purfleet!«, schrie sie, als die Schwester nicht aufsah. »Deanna Purfleet!«
Die Schwester drehte sich langsam um und nickte. »Ich hole den Arzt. Nur eine Sekunde.«
»Sagen Sie mir einfach, wo man sie hinverlegt hat. Ich bin Laura Caxton. Ich bin ihre Lebensgefährtin.«
Die Schwester nickte wieder. »Ich weiß, wer Sie sind.« Sie setzte eine Lesebrille auf und studierte das Telefonverzeichnis. »Bitte setzen Sie sich und warten auf den Arzt. Sie werden mit ihm sprechen wollen.«
Caxton setzte sich nicht. Sie marschierte vor dem Dienstzimmer auf und ab, musterte die Auszeichnungen an den Wänden, nahm den Becher mit Wasser, den Clara ihr brachte, aber sie konnte sich nicht setzen, nicht, wenn sie jemals wieder aufstehen wollte. Der Arzt trat aus dem Aufzug am anderen Ende des Korridors, und sie rannte ihm entgegen. Es war nicht derselbe Arzt, mit dem sie seinerzeit gesprochen hatte. »Deanna Purfleet.«
»Sie sind Miss Caxton?«, fragte er. Er war ein kleiner Inder mit perfekt gekämmtem Haar und sehr schwermütigen Augen. Er sah aus, als hätte er noch nie in seinem Leben gelächelt. »Ich bin Dr. Prabinder. Möchten Sie sich setzen …«
»Mein Gott, sagen Sie mir einfach, wo sie ist! Warum sagt mir keiner, wo sie ist?«
»Es hat Komplikationen gegeben«, sagte der Arzt, und alles verwandelte sich in weichen, nachgiebigen Gummi. Der Boden kam ihrem Gesicht entgegen.
47.
Caxton saß in der Leichenhalle. Deannas Körper lag auf einer Bahre. Dr. Prabinder und Clara waren nirgendwo zu sehen. Sie war ganz allein in dem abgedunkelten Raum, von allen Seiten von Vorhängen umgeben. Wie genau sie hierher gekommen war, vermochte sie nicht zu sagen. Sie hatte den Weg vom vierten Stock ins Kellergeschoss zurückgelegt – er war nur so unwichtig, dass sie sich nicht die Mühe gemacht hatte, die Information zu registrieren.
Es hatte Komplikationen gegeben, erinnerte sie sich. Sie stand auf und ging um die Bahre herum. Sie berührte Deanna hier und da. Zog das Laken zurück, das sie bedeckte. Wenigstens war Deannas Gesicht entspannt. Die Augen geschlossen, das rote Haar sauber. Ihre Lippen waren blass, aber davon abgesehen sah sie gar nicht so schlimm aus. Caxton bewegte das Laken noch ein Stück und wünschte sich, es nicht getan zu haben. Deannas Brüste zeigten in die falsche Richtung. Ihre Brust klaffte wie ein hungriger Rachen auf, ihre Rippen waren wie Zähne, die nach einem Stück Fleisch schnappten. Lungen und Herz lagen wie eine schlaffe Zunge auf dem Grund dieser Wunde.
Es hatte Komplikationen gegeben. Deanna hatte so viel Blut verloren, als sie das Küchenfenster zerbrochen hatte, dass sie fünf Einheiten Blutplasma
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