Der letzte Vampir
können, diesen Griff zu sprengen.
Seine Augen wurden größer, und sie sah rote Tränen über seine Pupillen wandern, als hätte das Blut jede Flüssigkeit in seinem Körper ersetzt. Die Pupillen wuchsen unablässig, bis sie ihr halbes Sichtfeld einnahmen. Sie war schon von einem Vampir hypnotisiert worden, aber das hier war nicht mit der Lähmung zu vergleichen, die sie seinerzeit erfasst hatte. Damals war es eine allgemeine Taubheit gewesen, ein anästhesierender Effekt. Dieses Mal war sie sich fast schon schmerzhaft bewusst, was mit ihr geschah. Da fand ein Austausch statt, von seinem Bewusstsein in das ihre. Es war eine lautlose und unsichtbare Bewegung, aber durchaus real. Es spielte sich nur in ihrem Bewusstsein ab, aber es wurde von einer deutlichen Empfindung begleitet, dem spürbaren, sehr unangenehmen Gefühl, dass etwas in sie eindrang.
Caxton war nie vergewaltigt worden. Auf der High School gab es einen Jungen, der sie nicht verstehen wollte, als sie sagte, sie wolle warten, sich aufsparen wollte. Im Grunde hatte sie es selbst nicht verstanden und auch nicht gewusst, wie sie ihn daran hindern sollte, wenn er seine Hände unter ihre Kleidung schob und sie schmerzhaft in ihrem Fleisch vergrub. Eines Tages nach der Schule bei ihr zu Hause hatte er seinen Penis hervorgeholt und ihn über ihren Handrücken gerieben, hatte sie angebettelt, ihn so anzufassen, wie er sie immer angefasst hatte. Das verzweifelte Verlangen des Jungen hatte sie angeekelt, und sie hatte sich abgewandt. Da hatte er sich neben ihrem Bett aufgestellt, und ihr war deutlich bewusst geworden, dass sie allein im Haus waren und ihr Vater nicht vor sechs heimkommen würde. »Nimm ihn in den Mund«, hatte er gesagt und damit vor ihr herumgewedelt. »Lutsch ihn.« Seine Stimme war irgendwie gebrochen und scharf gewesen, voller potenzieller Gefahr.
Sie hatte in Tränen Zuflucht gesucht, lauten, tiefen, panikerfüllten Schluchzern, und der Junge hatte sich so geschämt, dass er gegangen war und sie nie wieder angesprochen hatte. Es war das letzte Mal gewesen, dass sie versuchte hatte, sich mit einem Jungen zu verabreden – sechs Monate später war sie ihrem ersten weiblichen Schwarm begegnet und hatte endlich begriffen, wer sie war. Wenn sie heute an den Jungen denken musste, durchfuhr sie stets ein Stich des Unbehagens.
Aber was Reyes da mit ihr machte, stellte eine viel schlimmere Verletzung dar. Er drängte sich in ihre innersten Gedanken, ihre Geheimnisse, die tiefsten, dunkelsten Bereiche ihres Bewusstseins. Er las sie wie ein Buch, durchforstete ihre Erinnerungen. Er fand die Erinnerung an den Jungen und die Tränen, und sie fühlte, wie es ihn amüsierte. Sie konnte ihn fühlen, als würde er auf ihr liegen, spürte seine kalte, wächserne Haut, die leichte Wärme des Blutes, den Blutgeruch, der an ihm haftete. Sie stand völlig unter seiner Kontrolle. Ihr fehlte der Wille, gegen ihn zu kämpfen, sich überhaupt zu wehren, einen Fluchtversuch zu unternehmen.
Nach einer Weile schloss der Vampir die Augen. Die Vergewaltigung hörte sofort auf, aber sie spürte ihn noch immer, einen Rest seines Eindringens in ihren Kopf. Es ließ ihr Gehirn jucken. Vesta Polders Amulett hatte nichts ausgerichtet. Der Vampir griff in den Sarg, vermutlich, um sie herauszuholen.
Eine bessere Chance würde sie nicht bekommen. Sie richtete die Beretta gegen sein Herz und schoss, drückte immer wieder ab. Der Lärm zerriss die Stille, das Mündungsfeuer flammte so viel heller als die Kerze auf; sodass es den Anschein hatte, als wäre in dem Raum die Sonne aufgegangen. Pulverdampf wehte wie Rauch um Caxtons Gesicht, der Gestank war atemberaubend. Ihre bereits malträtierten Ohren klingelten, und der Vampir knurrte wie ein wildes Tier.
Als sie zu schießen aufhörte, packte er den heißen, qualmenden Pistolenlauf mit der Hand und schleuderte die Waffe in die Zimmerecke. Ihre Schüsse hatten ihn nicht einmal verletzt. Sie erinnerte sich an Arkeleys Worte: Er hatte so viel Blut in sich, dass ihn vermutlich nicht einmal eine Bazooka ankratzen könnte. Etwas hatte sie allerdings geschafft: Der Teil von ihm in ihrem Kopf brannte, außer sich vor Wut. Sie wusste, dass sie ihn zornig gemacht hatte, sie konnte seine Wut in ihrem Inneren fühlen. Er packte sie mit beiden Händen, hob sie hoch und warf sie gegen die Wand.
Ihr Rücken kollidierte mit einem staubigen, trockenen Regal, das durch die Aufprallwucht zerbrach. Glaskrüge regneten auf ihren Kopf und die
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