Der letzte Vampir
wollte, dass sie losließ. Reyes wollte, dass sie den Traum beendete.
Es spielte keine Rolle. Es spielte keine Rolle, wer was wollte. In einer Sekunde würde sie weg sein, aus der Welt gestrichen, und danach … Wen kümmerte es? Wen kümmerte es schon, ob die Vampire die Hälfte von Pennsylvania fraßen? Wen kümmerte es? Sie würde nicht mehr da sein, um sich schuldig fühlen zu können.
Sie löste die andere Hand von der Kette. Ihre Oberschenkelmuskeln bebten, als sie gezwungen waren, ihr ganzes Gewicht zu halten. Sie fing an, sich zurückzulehnen. Es war so einfach. So einfach, und es würde jedes ihrer Probleme lösen.
Starke Finger packten ihr linkes Handgelenk. Sie schrie auf, erwartete Schmerz, aber die Finger hielten sie bloß, gruben sich nicht in ihr Fleisch. Sie ließen sie nicht fallen. Caxton versuchte den Kopf zu drehen, um zu sehen, wer sie festhielt, aber es funktionierte nicht – ihr Nacken streikte. Sie konnte die Finger nicht sehen, als sie den Griff veränderten, sich wie ein Paar Handschellen um ihr Gelenk schlossen.
»So weit sind Sie noch nicht«, sagte der Besitzer der Finger. Die Stimme war ziemlich leise und ging beinahe im Tosen des brennenden Stahlwerks unter. Aber sie wusste, dass es Arkeleys Stimme war.
40.
»Genug!«, brüllte Reyes von irgendwo, aus dem Nichts. Alles hielt an – die Zeit, jede Bewegung. Caxton war allein. Das geschmolzene Metall wich zurück, floss ab und enthüllte den Hallenboden. Der Stahl füllte noch immer die Bodenrinnen, was für eine gewisse Helligkeit sorgte, und der Hochofen qualmte nach wie vor und spuckte dichte rote Funkenwolken aus. Aber die Hitze wurde, wenn nicht erträglich, dann doch zumindest überlebbar, und die Luft wurde dünner, bis Caxton ohne Schmerzen atmen konnte. Das Metall, das aus der Roheisenpfanne strömte, versiegte zu einem Tröpfeln, und sie kletterte die Kette hinunter, bis sie wieder auf dem Boden stand. Sie verbrannte nicht.
In einer Ecke der Halle öffnete sich quietschend eine Falltür an rostigen Angeln. Sie ging zögernd zu der Öffnung, unsicher, was gerade passierte. Sie konnte Stufen erkennen, die in die Dunkelheit hinunterführten, mehr aber auch nicht.
Auf müden Füßen trat sie auf die erste Stufe. Der Stein war kalt unter ihren nackten Sohlen, sodass sich ihre Zehen zusammenkrümmten. Nachdem sie so lange Zeit in der Hitze des brennenden Werks verbracht hatte, hatte sie vergessen, wie sich Kälte wirklich anfühlte. Sie machte einen weiteren Schritt und stützte sich auf den Eisenrahmen der Falltür. Eigentlich war sie ziemlich sicher, dass die Tür zufallen würde, sobald sie tief genug gestiegen war, mit einem markerschütternden Knall. Vielleicht würde sie auch nach nur ein paar Schritten wie eine Mausefalle auf ihrem misshandelten Körper zuschnappen. In diesem Albtraum konnte alles passieren.
»Laura, bitte komm zu mir«, sagte jemand in der Dunkelheit. In der Stimme lag eine Menge Zentralamerika, ein Akzent, mit dem sie nicht gerechnet hatte. Sie machte noch einen Schritt, dann den nächsten. Die Falle schnappte nicht zu. Schließlich nahm sie einen schwachen Lichtschein wahr, der von unten nach oben drang, gelbes Licht, das wie eine Flamme im Wind flackerte.
Sie ging weiter – und stellte fest, dass sie den Raum gut kannte. Schmal, mit Kuppeldecke, die Wände von Regalen gesäumt, die mit Glaskrügen und Pappkartons und zusammengerollten Decken gefüllt waren. Es war derselbe Lagerraum, in dem sie aufgewacht war. Der Ort, an dem die Halbtoten ihren Sarg abgestellt hatten. Das abscheuliche Ding stand noch immer da; jetzt war der Deckel geschlossen. Auf dem einen Ende stand eine Kerze in einem antiken Kerzenhalter. Am anderen Ende saß ein Mann von durchschnittlicher Größe und Körperbau. Er trug ein Sweatshirt mit zurückgeschlagener Kapuze über einem weißen Hemd. Seine Haut hatte die Farbe einer Walnuss, und er hatte schwarze, sorgfältig gekämmte Haare. Er lächelte sie an und zeigte ihr einen Mund mit kleinen, runden, sehr menschlichen Zähnen, aber sie wusste, dass es Efrain Reyes war. Es war Reyes, wie er als Lebender ausgesehen hatte. Bevor er gestorben war und sich in einen Vampir verwandelt hatte.
»Als das Werk noch betrieben wurde, lagerte man hier unten Borax und Kalk. Das riechst du«, sagte er. Er klopfte neben sich auf den Sarg, bot ihr einen Sitzplatz an.
Sie hatte nichts gerochen. Der Rauch des brennenden Werks hatte ihre Nase verbrannt, sie konnte gar nichts riechen. Aber
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