Der letzte Vampir
öffnen.«
Sie stand auf, ließ sich dabei Zeit. Verspürte nicht die geringste Eile. Hätte Arkeley darauf bestanden, dass sie sich schneller bewegte, hätte sie ihn augenblicklich wieder aus ihrer Nähe verbannt, vermutlich für immer. Aber das tat er nicht. Weder unterstützte er sie irgendwie, noch äußerte er sich verächtlich. Er schwieg. Aber er war noch immer da.
Sie schlurfte zum Sarg, bis sie direkt davor stand. Ihr Blick fiel auf das versengte Loch im Deckel, dort, wo sie durch das Holz geschossen hatte. Am Rand krümmte sich eine weiße Made.
Caxton ging in die Knie und umfasste den Sargdeckel. Mit einer schnellen Bewegung stemmte sie ihn hoch. Sie hatte mit dem gerechnet, was sich ihr da präsentierte, aber nicht in diesem Ausmaß. Sie sah Reyes’ Knochen, so wie sie Malverns Skelett gesehen hatte, aber während das Fleisch der Vampirin zu einem oder zwei Liter breiigem Matsch reduziert gewesen war, stand in Reyes’ Sarg die zähflüssige Suppe bis zur Hälfte. Nun, bei ihm gab es ja auch viel mehr Fleisch zu verflüssigen als bei Malvern. Ein paar der langen Knochen trieben an der Oberfläche; an den knorpeligen Vorsprüngen klebten ganze Madenkolonien. Der Schädel lag völlig untergetaucht auf dem Grund, starrte sie mit weit aufgeklapptem Unterkiefer an.
»Sie müssen das Herz nehmen«, sagte Arkeley.
Sie drehte sich um, hielt nach dem Fed Ausschau. Er war so nah neben ihr, dass sie seine Körperwärme spüren konnte. So, wie sie das kalte Fehlen von Reyes’ Menschlichkeit fühlte. Aber sie konnte Arkeley nicht sehen. Er befand sich nur in ihrem Kopf. Doch sie bemühte sich, das nicht auszusprechen. Derartige Dinge in Worte zu fassen schien ihn verschwinden zu lassen, und sie wusste, dass sie seinen Rat brauchen konnte.
»Nehmen Sie das Herz«, wiederholte er.
Sie hielt nach dem Herzen Ausschau, konnte es aber nicht sehen. Es trieb nicht in der Nähe von Reyes’ Wirbelsäule, drückte auch nicht gegen seinen Brustkorb. Da, auf dem Grund, war etwas Schattenhaftes, unten auf dem Seidenpolster des Sargs. Etwas Dunkles, kein Knochen. Sie wollte danach greifen, hielt dann aber inne. Sie wusste ja nicht, ob sie durch das verflüssigte Fleisch greifen konnte.
»Sie haben den Daumen bewegt«, sagte Arkeley. »Sie haben sich selbst das Versprechen gegeben weiterzukämpfen, wenn Sie das schaffen. Das ist der einzige Weg.«
Sie schloss die Augen und schob den Arm in den Sarg. Die Flüssigkeit klebte an ihr, klebte an den Härchen auf ihrem Handgelenk und am Unterarm. Sie fühlte einen Knochen gegen ihre Haut stoßen, rau und furchteinflößend. Maden krochen auf ihre Haut, schoben sich langsam den Arm hinauf. Sie wollte schreien, war aber noch immer zu benebelt, um den Laut produzieren zu können. Ihr war klar, dass sie das Herz überhaupt nur würde ergreifen können, weil sie noch immer zur Hälfte hypnotisiert war.
Aber in ihrem halbwachen Zustand fühlte sie, wie sich ihre Finger um das schattenhafte Organ schlossen und es anhoben. Die Organbrühe, die Reyes’ Tageskörper darstellte, tropfte von dem Herzen. Sie platschte auf ihre Stiefel. Das Herz wimmelte vor Maden. Sie versuchte sie abzuschütteln, aber das funktionierte nicht – sie klebten fest daran. Der Muskel in ihrer Hand pulsierte sanft, ein kaum wahrnehmbarer, tickender Rhythmus. Er verriet ihr, dass sie noch nicht fertig war.
Sie schaute sich um. Reyes hatte behauptet, der Keller habe einst dazu gedient, Borax und Kalk zu lagern, und jetzt, da sie halb wach war, konnte sie das tatsächlich auch riechen; eine Art alkalischer Biss lag in der Luft. Aber irgendwann hatte man den Keller in einen Lagerraum verwandelt, und die Regalbretter waren mit allem Möglichen gefüllt. Da waren Gläser voller Nägel, Schrauben und anderer Eisenwaren. Da waren Ersatzkerzen und zahllose Kartons mit Materialformularen und behördlich vorgeschriebenen Aufstellungen darüber, welche Chemikalien im Werk vorhanden und wie giftig sie waren.
Sie nahm den größten Glasbehälter, den sie finden konnte, und leerte seinen Inhalt in den Sarg. Dann zerknüllte sie ein Dutzend Seiten und stopfte sie hinein, sorgfältig darauf achtend, genug Platz zu lassen, damit die Luft zirkulieren konnte. Sie war Pfadfinderin und oft genug zelten gewesen, um zu wissen, wie man ein Feuer machte.
Die Kerze, mit der Reyes den Keller beleuchtet hatte, war fast niedergebrannt, als sie endlich so weit war, aber es dauerte nur einen Moment, den provisorischen Brandbeschleuniger
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