Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte Vorhang

Der letzte Vorhang

Titel: Der letzte Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Meyers
Vom Netzwerk:
in Unterlagen vor dem
Tod festgehalten wurden: Röntgenbilder, Krankenhaus- und Zahnarztakten.«
    »Dann sind Sie auch Detektiv.«
    »Ja. Und das von Anfang an. Meine erste Aufgabe
ist es, zu bestimmen, ob die Knochen überhaupt von Menschen stammen.«
    Izz bellte hysterisch und schoß vom Sofa. Einen
Augenblick später drehte sich Silvestris Schlüssel im Schloß; er öffnete die
Tür, und Izz tänzelte mit kleinen aufgeregten Jaul-lauten um ihn herum.
Silvestri hatte in einer braunen Papiertasche chinesisches Essen mitgebracht.
    »Entschuldigt die Verspätung.« Er legte Jackett,
Halfter und Waffe ab und holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank.
    »Macht gar nichts, Silvestri«, beruhigte ihn
Nina. »Es ist die erste Gelegenheit, die ich in drei Tagen zum Verschnaufen
habe.«
    »Hat jemand Lust auf Chinesisches? Gebratenen
Reis mit Shrimps?«
    »Nein, danke«, sagte Nina.
    Wetzon schüttelte den Kopf.
    »Gut. Um so mehr für mich.« Er trug die offene
Pappschachtel, in der zwei Stäbchen steckten, ins Wohnzimmer und stellte sie
mit einem Packen Servietten und einer Flasche Beck’s auf den Couchtisch. Dann
ging er noch einmal hinaus und kam mit seiner Aktentasche zurück, lockerte die
Krawatte, nahm sie dann ganz ab und krempelte die Hemdsärmel hoch. »Hast du
Nina die Kachel gezeigt?«
    »Nein. Wir haben auf dich gewartet.«
    »Sieh dir das an, Nina.« Er zog das Foto aus
seiner Tasche, nahm Wetzons geborstene Kachel auf der Pappunterlage und legte
beide nebeneinander auf den Couchtisch. »Siehst du?«
    Nina betrachtete sie gründlich und nickte
Silvestri schließlich zu. Silvestri zog einen Hocker unter dem Tisch vor und
setzte sich. Er begann, den gebratenen Reis geschickt mit den Stäbchen zu
essen. »Okay, gehen wir es noch einmal durch. Ich weiß Bescheid, aber Les
möchte es hören.«
    Nina machte es sich auf dem Sofa bequem und
begann: »Terri hatte mit fünfzehn einen Unfall. Sie fiel in einen leeren
Swimmingpool und brach den linken Humerus — den Oberarmknochen — an drei
Stellen. Der Bruch war so schlimm, daß eine richtige Operation notwendig wurde.
Zu unserem Glück.«
    »Haben Sie die Unterlagen gefunden?«
    »Leicht war es nicht. Das Krankenhaus wurde vor
einigen Jahren abgerissen und ein Teil der Unterlagen vorübergehend im Keller eines
städtischen Verwaltungsgebäudes gelagert, wo man sie vergaß. Was Glück für uns
war, weil man alle Unterlagen, die in das neue Krankenhaus expediert werden
sollten, aus den Jahren vor 1970 vernichtet hatte.«
    »Wie um Himmels willen haben Sie...«
    »Eine freiwillige Helferin bei der Polizei, die
Witwe eines Polizisten. Als ehemalige Archivarin erinnerte sie sich, eine
Lieferung von Krankenhausakten angenommen und die Lagerung geregelt zu haben,
damit sie vom Stadtarchiv getrennt blieben.«
    »Es gab Röntgenbilder, und sie paßten!«
    Nina nickte.
    »Ich glaube, Terri hatte Familie in
Cincinnati... eine ältere Tante?«
    »Eine Großmutter. Sie starb vor zehn Jahren. Sie
war wegen seniler Demenz seit 1977 in einem Heim gewesen.«
    Großmutter. Oma. Plötzlich sah Wetzon Terri vor
sich, die sehr liebevoll ins Telefon sprach: »Oma, schau in den Backofen oder
den Kühlschrank.« Sie hatte sich nach Wetzon umgedreht und erklärt: »Sie hat
wieder einmal ihre Brille verlegt. Dann gerät sie in Panik und ruft mich an.
Ich muß ein Heim für sie finden, wo man sie versorgt. Seit einiger Zeit vergißt
sie alles, und ich habe Angst, daß sie das Haus in Brand setzt.«
    »Terri mußte sie in ein Heim geben, glaube ich«,
sagte Wetzon. »Sie sprach mit Davey — dem Regisseur von Combinations —
und flog dann von Boston nach Cincinnati, während wir andern in der Show
auftraten. Das hat sie damals völlig geschafft. Weil sie bei ihrer Großmutter
aufgewachsen war. Und nun erkannte sie ihre Enkelin nicht mehr.« Es war, als
entblätterte man eine Artischocke, dachte Wetzon, weil ihr während des Redens
immer mehr einfiel. »Terri sagte, ihre Großmutter nach New York zu holen, käme
nicht in Frage. Sie spielte aber immer wieder eine wichtige Rolle in ihrem
Leben. Das elfenbeinfarbene Seidenkostüm, das wir in Filene’s basement kauften,
war im Zusammenhang mit ihr für eine besondere Gelegenheit gedacht.«
    Nina nickte. Silvestri dagegen zeigte so eine
Art Stolzer-Vater-Miene, die Wetzon irritierte. Dann war es vorbei; ihre Blicke
begegneten sich, und sie sahen sich lange an.
    »Ich fuhr zu dem Pflegeheim hinaus«, fuhr Nina
fort, »und sprach mit dem Verwalter.

Weitere Kostenlose Bücher