Der letzte Walzer in Paris - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a
all die Jahre dazwischen. In tiefer Dankbarkeit kostete er diesen
Augenblick des stillen Genießens aus, im Gedenken an seine verstorbene Mutter und an eine gemeinsame Zeit, die so viele Jahre zurücklag. Die Welt mit all ihren Problemen draußen lassen, dachte er, und sei es nur für die Dauer eines wunderbaren Mittagessens.
Der Alltag würde ihn früh genug wieder einholen. Bevor er ins Büro fuhr, wollte er den Karton mit dem Nachlass seiner Mutter rasch in seine Wohnung bringen. Falls er im Hof zufällig auf Céline traf, würde er ihr vom Tod seiner Mutter erzählen. Keinesfalls würde er jedoch bei ihr klingeln und das Gespräch mit ihr suchen. Im selben Moment ging ihm auf, wie stur und borniert er sich verhielt. Nichts berechtigte ihn dazu, seiner Freundin zu misstrauen. Es gab keinen Beweis, dass Celine ihn mit diesem Adrien betrog, nur weil er bei ihr übernachtete. Doch er konnte nicht aus seiner Haut. Noch nicht.
5. KAPITEL
E s war kurz nach vierzehn Uhr, als er den Wagen auf dem Parkplatz des Justizpalastes parkte und ins Gebäude ging. Über sein Handy rief er im Büro von Ermittlungsrichter Joseph Couperin an. Dieser wollte am Wochenende einen Berg Akten abarbeiten, der sich während seines vierzehntägigen Urlaubs angehäuft hatte.
»Ich hab’s schon von Ihrer Mitarbeiterin gehört«, meldete sich Couperin. »Gewaltverbrechen an alten Menschen machen mich besonders wütend. Schon irgendwelche Erkenntnisse, LaBréa?«
»Noch nicht, Monsieur le Juge. Wir fangen ja gerade erst an. Kommen Sie doch gleich in unsere Talkrunde, wenn Sie möchten. Aber eigentlich lohnt es sich für Sie noch nicht.«
»Eben, das denke ich mir. Ich habe genug Arbeit auf dem Schreibtisch. Geben Sie mir Bescheid, wenn Sie mehr wissen. Wann liegt das Resultat der Autopsie vor?«
»Vermutlich am späten Nachmittag.«
Wenig später öffnete LaBréa die Tür des Mitarbeiterbüros.
»Talkrunde! Es kann losgehen«, verkündete er. Dann stutzte er. »Wo ist Franck? Ich hatte doch gesagt, vierzehn Uhr.«
»Vor einer Stunde kam ein Anruf vom Kommissariat des 11. Arrondissements«, erwiderte Claudine und erhob sich hinter ihrem Schreibtisch. Der Paradiesvogel, dessen Schreibtisch am Fenster stand, erhob sich ebenfalls. »Auf dem Bahngelände an der Gare de Lyon haben Gleisarbeiter ein menschliches Skelett gefunden.«
LaBréa runzelte die Stirn.
»Und wieso fährt Franck gleich dort hin?«
»Die haben uns angerufen«, sagte Jean-Marc. »Der Schädel war halb zertrümmert, sieht nach einem Gewaltverbrechen aus, sagen sie.«
»Eine skelettierte Leiche?« LaBréa schüttelte den Kopf. »Das fällt vorerst gar nicht in unsere Zuständigkeit. Da sollen die Osteologen ran, erst mal die Liegezeit der Knochen bestimmen und zusehen, ob sie irgendwoher noch DNA isolieren können. Erst dann schalten wir uns ein und auch nur, wenn die Sache nicht verjährt ist und eindeutige Anzeichen für Fremdverschulden vorliegen.« Ärgerlich blickte er auf seine Uhr. »Schon zehn nach zwei. Ich wüsste gern, was Franck in der Zwischenzeit herausgefunden hat. Wir warten noch fünf Minuten, dann fangen wir ohne ihn an.«
Er verließ die beiden Kollegen und ging zwei Türen weiter in sein eigenes Büro, wo er seinen Rechner hochfuhr und seine Mails las. Es war nichts Wichtiges
darunter - was ihn am heutigen Sonnabend nicht weiter verwunderte. Eine Ankündigung der Generalversammlung der Polizeigewerkschaft; der neue Übungsplan für den Schießstand; der Termin für die Einweisung in die neue Software, mit der die Datenbanken der europäischen Polizeidienste noch besser vernetzt werden konnten. Er schloss sein Postfach und griff zum Hörer des Festnetztelefons. Normalerweise wollte Direktor Roland Thibon, LaBréas Vorgesetzter mit Spitznamen »Schöngeist«, am Wochenende nur im Notfall gestört werden. Allerdings wusste LaBréa nie so genau, wie Thibon das Wort »Notfall« interpretierte. Ginge es nach ihm, würde LaBréa den Direktor nicht gleich am Anfang einer Ermittlung benachrichtigen. Doch vor einigen Wochen hatte Thibon ihn scharf zurechtgewiesen, als er ihn nicht sofort über den Mord an einem Jugendlichen im 3. Arrondissement (eine Abrechnung unter Drogendealern) unterrichtet hatte. Man konnte nie wissen, ob man es dem Direktor recht machte oder nicht. LaBréa beschloss, das Risiko einzugehen, und wählte Thibons Privatnummer. Nach mehrmaligem Klingeln war er selbst am Apparat.
»Hier LaBréa, entschuldigen Sie bitte die Störung,
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