Der letzte Walzer in Paris - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a
seine Tochter hatte Alissa den Vorzug gegeben, und so war Virginie für Jenny immer nur zweite Wahl. Deshalb schien das Mädchen heute umso erfreuter, dass Jenny sie sogar mit nach Hause nahm.
»Papa, spielst du mit uns ’ne Runde Monopoly?«, fragte Jenny gleich, als die beiden die Wohnung betraten. LaBréa senkte sein Buch und seufzte.
»Jetzt bin ich gerade beschäftigt, Cherie. Seid nicht böse, ihr beiden, aber ich will das Buch endlich zu Ende lesen.«
»Dann eben nicht«, schmollte Jenny. »Komm, Virginie, wir gehen in mein Zimmer. Ich zeig dir mein neuestes Videospiel.«
»Habt ihr was gegessen?«, rief LaBréa ihnen nach.
»Ja, bevor wir ins Kino gegangen sind, Monsieur«, erwiderte Virginie. Ihre Zahnspange blitzte. »Einen Cheeseburger bei McDonald’s. Und ’ne Cola dazu.«
LaBréa verdrehte die Augen. Er verabscheute Fastfood, und auch Jenny machte sich normalerweise nichts daraus. Wahrscheinlich war es Virginies Idee gewesen, zu McDonald’s zu gehen.
»Wenn ihr noch irgendwas wollt, meldet euch«, brummte er, doch Jennys Tür war bereits ins Schloss gefallen. Er stand auf und legte eine neue CD ein. Eine Aufnahme des letzten Konzerts von Betty Carter, die er besonders liebte. Obelix, der in seinem Lieblingssessel
lag und schlief, war kurz wach geworden, als die Mädchen hereinkamen, hatte ihnen jedoch weiter keine Beachtung geschenkt.
Um sechs schlug LaBréa das Buch zu und ging in sein Schlafzimmer. Er vertauschte seine ausgewaschene Jeans und das alte Flanellhemd mit einer dunkelblauen Cordhose und einem dazu passenden Pullover. Wenig später klopfte er an Jennys Zimmertür. Die beiden Mädchen hockten einträchtig nebeneinander und waren in ihr Spiel vertieft. Es hieß Animal Crossing und führte die Spieler in die virtuelle Welt eines Dorfs und seiner Tiere. LaBréa hielt nichts von Videospielen und hatte sich lange dagegen gesträubt, Jenny eine Spielkonsole zu schenken. Doch letztes Weihnachten hatte Celine gemeint, dass man sich heutzutage diesen Dingen nicht mehr verschließen könne, und Jenny bekam ihre erste Nintendo-Konsole.
»Ich muss nochmal weg«, sagte LaBréa. »Bin aber gegen acht wahrscheinlich zurück.« Jenny nickte, ohne sich beim Spiel unterbrechen zu lassen. LaBréa wandte sich an die Klassenkameradin. »Wissen deine Eltern, dass du bei uns bist, Virginie?«
»Ja, Monsieur. Meine Mutter holt mich gegen sieben Uhr hier ab.«
»Gut. Also, Jenny, bis später.«
LaBréa verließ das Haus. In Celines Atelier brannte Licht, und LaBréa sah, wie sie aufmerksam ihre Bilder betrachtete, die sie ringsum an den Wänden aufgestellt
hatte. Er klopfte kurz an die Fensterscheibe, winkte ihr lächelnd zu und machte sich auf den Weg. Immer noch regnete es. LaBréa spannte seinen Schirm auf.
Bis zur Rue Barbette im 3. Arrondissements brauchte er zu Fuß weniger als zehn Minuten. Ganz bewusst hatte LaBréa es vermieden, Madame Chabrier, die Concierge, über seinen Besuch in Kenntnis zu setzen. Bei jeder Mordermittlung spielte der Überraschungseffekt eine wichtige Rolle.
Nur wenige Menschen wagten sich bei diesem ungemütlichen Herbstwetter auf die Straße. Dazu gehörten die unverwüstlichen Hundebesitzer. Ihnen blieb auch keine andere Wahl. Eine junge Frau in Gummistiefeln und Regencape führte ihr winziges Hündchen aus - vermutlich eine sündhaft teure Rasse -, dessen magerer Leib mit dem spärlichen Fell vor Kälte zitterte. Das Tier verkroch sich in einem Torbogen, bis sein Frauchen es kurzerhand schnappte und auf den Arm nahm.
Hin und wieder fuhr ein Auto vorbei. LaBréa hielt sich dicht an den Häuserwänden, damit das Wasser, das aus den Pfützen hochspritzte, seine Kleidung nicht beschmutzte.
Er ging an der tristen Fassade des Nationalarchivs vorbei und bog in die Rue Vieille du Temple ein. Kurz darauf stand er vor dem Haus, in dem Griseldis Géminard am Vortag ermordet worden war.
Die Wohnung der Concierge befand sich im Hinterhof des Gebäudes. Eloïse Chabrier mochte Anfang fünfzig sein und entsprach in keiner Weise dem Bild einer Pariser Concierge, wie es in zahllosen Romanen über viele Jahrzehnte hinweg vermittelt wurde und oftmals auch heute noch seine Gültigkeit hatte. Sie war eine moderne Frau in den Fünfzigern, die sich, wie es so schön hieß, gut gehalten hatte. Ihre engen schwarzen Jeans und der blaue Pullover, der nicht gerade aussah, als wäre er im Monoprix gekauft worden, betonten ihre tadellose Figur. Ihr dezentes Make-up war sorgfältig
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