Der letzte Walzer in Paris - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a
Treiben im Lokal. Viele Tische waren besetzt. Auf der Tanzfläche tummelten sich einige Paare; oftmals waren es Frauen, die miteinander tanzten.
Wie damals im Krieg, dachte LaBréa. Als Männer Mangelware waren und nicht jede Frau in Paris mit einem deutschen Besatzungssoldaten loszog.
Das Publikum war zumeist weiblich und vom Altersdurchschnitt her jenseits der sechzig. Offenbar legten alle Wert auf gute Kleidung. Die Frauen hatten sich herausgeputzt, trugen hübsche Kleider mit dazu passenden Schuhen und Handtaschen.
Die wenigen älteren Herren, in Anzug und Krawatte, hatten jene Frauen auf die Tanzfläche entführt, die am flottesten und jüngsten wirkten. Die anderen saßen allein oder zu zweit an den Tischen. Ein gewinnendes, aber wie eingefroren wirkendes Lächeln auf den Lippen, hielten sie Ausschau nach einem Kavalier, der ihr Mauerblümchendasein beendete.
Als Neuankömmling wurde LaBréa von vielen weiblichen Augenpaaren sehnsüchtig taxiert. Neben ihm an der Bar standen drei Männer jüngeren Alters. Zwei von ihnen hatten ihre gegelten Haare straff nach hinten gekämmt und bedienten das Klischee eines argentinischen Tangotänzers. Ihre dunklen Anzüge saßen schlecht. Vielleicht stammten sie aus einem Theaterfundus.
Der Dritte trug einen grau gestreiften, tadellos sitzenden Dreiteiler mit gepunkteter Krawatte. Er hatte seine Arme über der Brust gekreuzt und lehnte lässig am Tresen. Seine Augen waren auffallend blau, das konnte LaBréa trotz des schummrigen Lichts erkennen. Ein strahlendes Kornblumenblau, wie man es selten bei Männern, noch dazu bei dunkelhaarigen, sieht. Doch am auffallendsten war die Narbe an seiner Oberlippe, die er mit einem Bärtchen zu kaschieren suchte. Eine Hasenscharte, wahrscheinlich im Kindesalter schlecht operiert.
Alle drei taxierten routiniert das Angebot an Damen und gaben sich abgeklärt. Sie sprachen nicht miteinander, schienen sich demnach wohl nicht zu kennen.
Einer der Tangotänzer veränderte seine Position, lehnte sich ebenfalls mit dem Rücken an den Tresen und zündete sich eine Zigarette an. Er war nicht der Einzige, der rauchte. LaBréa wunderte sich, dass das seit kurzem überall in Kraft getretene Rauchverbot hier so offensichtlich ignoriert wurde.
Er gab dem Barkeeper seinen Getränkecoupon und bestellte einen Tom Collins. Vor vielen Jahren, als er die USA bereiste, war das sein Lieblingsdrink gewesen. Es erschien LaBréa der passende Drink für einen Polizeikommissar, der am Sonntagabend inkognito ein Pariser Tanzlokal besuchte.
»Kostet aber vierzehn Euro extra«, sagte der Barkeeper, ein Mann mit weißem Hemd und Fliege, mit
unbeteiligter Stimme. »Der Coupon gilt nur für eine Cola oder einen Saft.«
LaBréa nickte ergeben und zückte sein Portemonnaie. Mit seiner schiefen Nase, der unbestimmbaren Augenfarbe und den dunklen, in der Mitte gescheitelten Haaren erinnerte ihn der Mann an den Komiker Fernandel. Der mixte den Drink und stellte ihn schwungvoll auf den Tresen. LaBréa nahm einen ersten Zug und bemerkte sogleich, dass der Drink viel zu wenig Gin enthielt.
Die Musik wechselte. Die ersten Töne eines Musettewalzers wurden von den Damen freudig beklatscht. Einige Paare verließen die Tanzfläche, andere betraten sie. Die drei Männer, die neben ihm am Tresen standen, schwärmten zu den Tischen aus und unterzogen die Sitzengebliebenen einer kurzen Prüfung. Die beiden Tangotänzer kehrten unverrichteter Dinge zum Tresen zurück. Der Dritte, der mit den blauen Augen und dem Bärtchen über der Narbe, forderte eine grauhaarige Frau auf, die ein groß geblümtes Kostüm trug. Mit jugendlichem Schwung erhob sie sich und folgte ihm zur Tanzfläche. Dort fasste der Kavalier routiniert ihren linken Arm und legte seine rechte Hand auf ihren Rücken. Sogleich bewegten sie sich gekonnt im Rhythmus der Musik. Auf dem Gesicht der Frau lag ein romantischer Ausdruck von Verklärtheit.
Hinter sich hörte LaBréa ein kurzes Räuspern. Er drehte sich um und blickte in das lächelnde Gesicht
eines Mannes von etwa Mitte dreißig. Mit seinen gegelten, sich im Nacken nach außen kräuselnden Locken und dem länglichen, leicht verschlagen wirkenden Gesicht sah er aus wie der Prototyp des Schurken in einem Low-Budget-Film. Sein dunkler Anzug saß tadellos, die schwarzen Lackschuhe wirkten geckenhaft.
»Guten Abend, Monsieur«, sagte er mit öliger Stimme und entblößte eine Reihe blitzender Zähne. »Zum ersten Mal hier bei uns im Paradis?«
»Ja, genau.«
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