Der letzte Walzer in Paris - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a
krankenversichert war noch über Geldmittel verfügte, wurde sie nicht ausreichend medizinisch behandelt. Im Juli 2001 starb sie an der Krankheit. Ihr Leichnam wurde in einem Abbruchhaus in der Bronx gefunden. Die Urne mit ihren sterblichen Überresten hatten die US-Behörden Anfang September 2001 nach Paris überführen lassen.
»Und zwar an die Adresse ihrer Mutter, Rue Barbette«, fügte Claudine abschließend hinzu.
LaBréa hatte aufmerksam zugehört und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
»Jetzt wird mir klar, warum sie überall erzählt hat, ihre Tochter sei beim Angriff auf die Türme ums Leben gekommen«, sagte er nachdenklich. »Vermutlich hatte Griseldis Geminard all die Jahre keine Ahnung, wie Augustine gelebt hat. Aus den Briefen ist ja nichts hervorgegangen. Von daher war sie wahrscheinlich völlig schockiert, als die Todesnachricht kam und sie erfuhr, dass Augustine an den Folgen von Aids gestorben war. Das sollte niemand erfahren. Der Angriff auf das World Trade Center wenig später gab ihr dann Gelegenheit, eine Geschichte um den Tod ihrer Tochter zu erfinden. Und irgendwann hat sie wohl selbst auch daran geglaubt, dass Augustine im Nordturm ums Leben kam. Sie wird die Wahrheit verdrängt haben, weil es leichter für sie war, mit der Lüge zu leben. Die
Sterbedokumente aus den USA hat sie vernichtet und auf diese Weise die Spuren gelöscht.«
»Wenn Augustine in ihrer Jugend in den Sechzigerjahren nach Kalifornien gegangen ist, hat sie dort vermutlich mit den Drogen angefangen«, sagte Claudine.
»Wie so viele andere damals auch.« LaBréa dachte an die Drogenexzesse in einer Hippiekommune, wie sie T. C. Boyle so treffend in seinem Buch Drop City beschrieb.
»Vielleicht war Gras die Einstiegsdroge, und später kamen härtere Sachen.« LaBréa überlegte einen Moment. »Den letzten Brief an ihre Mutter hat sie im April 2001 geschrieben. Da muss sie schon ziemlich krank gewesen sein.«
Der Paradiesvogel nickte.
»Ja, und kein Wort davon, dass es ihr gesundheitlich schlechtging. Das sagt alles über das Verhältnis von Mutter und Tochter, finde ich.«
»Da haben Sie Recht, Jean-Marc.« LaBréa goss sich ein Glas Mineralwasser ein. »Was sie wohl mit der Asche ihrer Tochter gemacht hat?«
»Vielleicht irgendwo verstreut«, spekulierte Claudine. »In einem Park oder in der Seine.«
»Möglich. Jedenfalls wissen wir jetzt definitiv, dass die Tochter Augustine tot ist.« Er trank das Glas in einem Zug aus, blickte auf seine Uhr und stand auf.
»Gleich zehn. Jean-Marc, wir fahren zum Geschäftsführer des Paradis. Vielleicht haben wir jetzt Glück.«
Bei Tageslicht wirkte die Rue de Lappe wie ausgestorben. Die Tanzlokale und Bars, Jazzkeller und Restaurants waren geschlossen. Erst am Abend tobte hier das Leben. Auch die Leuchtreklame an der Fassade des Paradis war ausgeschaltet, der Eingang zum Lokal mit einem Gitter versperrt. Gleich neben dem Lokal führte eine schmale, rotbraun gestrichene Tür zur Wohnung von Patrice Montana, die über dem Lokal lag. Sie stand offen, und die beiden Beamten gingen ins Haus.
Nach längerem Klingeln an der Wohnungstür wurde diese geöffnet. Eine dunkelhäutige Frau in einem bunt geblümten Seidenmorgenrock blickte die beiden Besucher fragend an. LaBréa stellte fest, dass sie ausgesprochen hübsch war. Große, schwarze Augen beherrschten ihr schmales, fein geschnittenes Gesicht. Sie war ungeschminkt, und die feuchten, gelockten Haare ließen vermuten, dass sie gerade erst eine Dusche genommen hatte. LaBréa schätzte sie auf Mitte zwanzig.
Er zückte seinen Ausweis.
»Commissaire LaBréa von der Brigade Criminelle. Wir möchten zu Monsieur Montana. Ist er da?«
Die junge Frau musterte LaBréa eingehend, drehte sich dann um und rief: »Patrice? Kommst du mal? Die Bullen!«
Ohne die beiden Polizisten noch eines Blickes zu würdigen, schlenderte sie davon. Gleich darauf erschien der Geschäftsführer. Er trug ein Paar Jeans und ein
enges T-Shirt mit halbem Arm. Unter dem Hemd zeichneten sich sein Waschbrettbauch und ein beeindruckender Bizeps ab. Ganz offensichtlich war er jemand, der seinem Körper viel Aufmerksamkeit widmete. Das Gesicht war unrasiert. Er starrte LaBréa an, doch bevor er etwas sagen konnte, kam ihm dieser zuvor.
»Polizei. Dürfen wir einen Moment reinkommen, Monsieur Montana?«
Der Geschäftsführer fing sich rasch und setzte sein öliges Lächeln auf.
»Ich dachte, Sie...«
LaBréa unterbrach ihn brüsk.
»Ja, ja, ich weiß. Aber
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