Der letzte Walzer in Paris - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a
vor der Vernehmung eine Leibesvisitation durchzuführen. In der Folge hatte die Gefängnisärztin der Sante, eine zweifache Mörderin, sich durch Selbstmord dem Verfahren und einer sicheren Verurteilung entziehen können. Die Innenrevision hatte Claudine und auch LaBréa als ihren Vorgesetzten tagelang in die Mangel genommen, und Direktor Thibon hatte noch Öl ins Feuer gegossen. Am Ende war Claudine mit einem Verweis und einem Vermerk in ihrer Personalakte davongekommen. Doch LaBréa wusste, dass jeder neue Vorfall, bei dem er oder seine Mitarbeiter von der Waffe Gebrauch machten, akribisch untersucht werden würde.
Inzwischen war es nach neunzehn Uhr. Durch die hell erleuchtete Stadt lenkte Jean-Marc den Dienstwagen in scharfem Tempo ins 10. Arrondissement. Der Feierabendverkehr
hatte nachgelassen, und sie kamen zügig voran.
Michel Catteaus Adresse in der Rue Lafayette Nummer 27 entpuppte sich als gutbürgerliches Wohnhaus, das offenbar erst vor kurzem renoviert worden war. Die sandgestrahlte Fassade glänzte matt, die Balkongitter und eisernen Fensterläden waren dunkelgrün gestrichen, ebenso wie die massive hölzerne Eingangstür, die verschlossen war. Jean-Marc hatte in den Taschen von Catteau auch dessen Haus- und Wohnungsschlüssel gefunden. So war es für die Beamten kein Problem, die schwere Tür zu öffnen.
Ein Durchgang führte zu einem hübschen Innenhof mit Gartenhaus. Alles wirkte gepflegt. An einer Tür mit dem Schild »Concierge« klopften sie an. Ein älterer Mann öffnete und fragte, was die Besucher wollten. LaBréa zückte seinen Polizeiausweis und stellte sich vor.
»Wo wohnt Monsieur Catteau?«
Der Concierge, dessen volles, graues Haare akkurat gescheitelt war, wie bei einem Schüler aus früheren Zeiten, konnte nur mühsam seine Neugier bezähmen. Er erinnerte LaBréa an Monsieur Hugo, seinen Concierge in der Rue des Blancs Manteaux. Aber sahen die Concierges in Paris nicht sowieso alle ähnlich aus?
Nicht immer, dachte LaBréa, und rief sich die geradezu elegante Erscheinung der Concierge im Haus der ermordeten Griseldis Geminard ins Gedächtnis.
»Im fünften Stock.« Der alte Mann deutete aufs Treppenhaus. »Dachgeschoss. Leider ohne Fahrstuhl, Commissaire.« Er lächelte mit nikotingelben Zähnen.
»Wie gut kennen Sie Monsieur Catteau?«, erkundigte sich Jean-Marc.
»Na ja, wie man jemanden so kennt, der noch nicht lange hier wohnt und eigentlich kaum zu Hause ist.«
Jean-Marc holte Stift und Notizbuch aus der Tasche, während LaBréa die Befragung fortsetzte.
»Wann ist er denn hierhergezogen?«
»Mitte September, glaube ich.«
»Wissen Sie, wo er vorher gewohnt hat?«
»Keine Ahnung. Monsieur Catteau lebt sehr zurückgezogen. Ich sehe ihn kaum, und ins Gespräch kommt man mit ihm nicht.« Er beugte sich ein wenig vor und flüsterte vertraulich: »Hat er was ausgefressen, Commissaire?« LaBréa überhörte die Frage.
»Wissen Sie, welchen Beruf er ausübt?«
»Nein.«
»Bekommt er denn mal Besuch? Freunde, Verwandte?«
»Das würde mich wundern. Ich sehe ihn immer nur allein, wenn überhaupt.«
»Hat er eine Freundin?«
Der Concierge zuckte mit den Achseln.
»Kann sein, kann auch nicht sein. Ich weiß es nicht.«
»Danke, Monsieur.« LaBréa bedeutete Jean-Marc, ihm die Treppen nach oben zu folgen.
»Wollen Sie in seine Wohnung?«, rief der Concierge ihnen nach. »Dürfen Sie das denn einfach so? Ich meine, soll ich nicht lieber mitkommen?«
»Das geht schon in Ordnung, Monsieur«, erwiderte LaBréa. »Und in die Wohnung gehen wir lieber allein.«
Bis zur vierten Etage führte eine bequeme Steintreppe. Danach verjüngte sich das Treppenhaus, und ins Dachgeschoss gelangte man nur noch über eine steile Holzstiege. Dort gab es nur eine Wohnung, die von Michel Catteau. Kein Namensschild wies darauf hin, wer hier lebte. Auf dem Boden lag eine Fußmatte mit dem Aufdruck »Welcome«. Mit Catteaus Schlüsseln öffnete Jean-Marc die Tür, die zusätzlich mit einem robusten Sicherheitsschloss versehen war.
Die Wohnung bestand aus einem winzigen Eingangsbereich, einem innen liegenden Bad und einem großen Wohn-/Schlafzimmer mit Küchenzeile. Die schrägen Wände schufen eine freundliche Atmosphäre, die durch die Einrichtung noch unterstrichen wurde. Der große Raum, in dessen Mitte ein Bett stand, war sparsam mit hellen Möbeln ausgestattet. An einer Schmalseite stand ein kleiner Kleiderschrank. Ein roter Sessel und ein runder Rattantisch erweckten den
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